Informationstafel 3:

Die Nachkriegszeit, die Prozesse, das Gedenken

Catherine Wagner, ehemalige Gefangene aus Luxemburg

„Vor unserer Befreiung sperrte man uns in einen engen Raum. Wir hatten keinen Zutritt zu den Toiletten. [...]

Bei Tagesanbruch wurde die Tür aufgeschlagen und herein kamen englische Soldaten, die uns aus dieser mißlichen Lage befreiten. Viele von uns waren krank, alle jedoch abgemagert, verdreckt, in Lumpen gehüllt und von Ungeziefer befallen.“

Aussage in einem undatierten Brief an den Historiker Detlef Korte

Sigrid M., Dolmetscherin über den 2. Mai 1945.

„Das ganze Personal des Lagers lief betrunken vor dem Verwaltungsgebäude herum. Ich wurde von T. mit den Worten empfangen, daß ich entlassen sei. T. und F. wollten in die Nähe von Niebüll [...] Das war für mich die Beendigung meiner Dienstzeit in Kiel“.

Aussage vor der Kieler Staatsanwaltschaft, 20.8.1964

Nachkriegszeit, Prozesse, Gedenken

Am 2. und 3. Mai 1945 flohen die Wachmannschaften und das Verwaltungs-personal der SS aus dem Lager, ein Teil der Häftlinge wurde entlassen, ein anderer Teil in die Baracken und den Arrestbunker eingesperrt. Am 4. Mai befreiten britische Truppen das „Arbeitserziehungslager Nordmark“ und fanden mehrere Hundert völlig verdreckte, kranke und halb verhungerte Gefangenen sowie ein nicht fertig gestelltes Krematorium vor.

Nach Kriegsende dienten die Baracken zuerst als Unterkunft für ehemalige osteuropäische Zwangsarbeiter, so genannte „Displaced-persons“ (DPs). Ab November 1948 erfolgte die Unterbringung von deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen. Anfang der sechziger Jahre wurde das Flüchtlingslager nicht mehr benötigt, die Holzbaracken wurden abgerissen, Gewerbebetriebe siedelten sich an und Sportplätze wurden angelegt.

Mit der Aufarbeitung und dem offiziellen Gedenken an die Verbrechen im Nationalsozialismus tat man sich in Kiel schwer: die Stadt stellte erst am 17. Juni 1971 – dem damaligen „Tag der deutschen Einheit“ - einen Gedenkstein an der Ecke Rendsburger Landstraße / Seekoppelweg auf.

Im Zuge der Entstehung von Geschichtswerkstätten, die sich mit der NS-Geschichte vor Ort auseinandersetzten, entstanden Anfang der achtziger Jahre auch in Kiel entsprechende Initiativen. So legte der „Arbeitskreis Asche-Prozeß“ im Herbst 1982 die Grundmauern des ehemaligen SS-Gästehaus frei, und 1983 erschien eine Broschüre über die Geschichte des Lagers. Aufgrund solcher Aktivitäten beauftragten im März 1983 sämtliche Fraktionen in der Rats-versammlung die Verwaltung damit, ein Konzept für eine Dokumentations- und Gedenkstätte zu erarbeiten. Da die Finanzierung nicht sichergestellt wurde, kam es nie zu einer Umsetzung der Ideen.

Auf Initiative einer kirchlichen Jugendgruppe aus Kronshagen war die Stadt Kiel 1985 bereit, einen neuen Gedenkstein zu errichten. Seitdem findet hier am Volkstrauertag im November die Gedenkfeier für die Häftlinge des „AEL Nordmark“ statt.

„Appell“ – ein Kunstwerk gestaltet von Frauen im Rahmen einer ABM bei „Arbeit für Alle“, Mai 1992 im Rahmen des Stadtjubiläums von Kiel. Demolierung und Abbau im September 1992. (Foto: Monika Peters, Kiel)

Vor dem symbolischen Zaun standen 20 Eisenstelen, in die abstrakte und konkrete Bildnisse eingearbeitet worden waren. Um jede Eisenstele waren blaue Bänder gebunden worden, auf denen die Namen, Geburtsländer und Sterbedaten der ums Leben gekommenen Häftlinge des Lagers geschrieben waren.

Strafverfolgung der Täter

Am 3. September 1947 wurde der ehemalige Lagerkommandant Johannes Post vor einem britischen Militärgericht als Mitarbeiter der Gestapo wegen seiner Beteiligung an der Erschießung von britischen Royal-Air-Force-Piloten im März 1944 zum Tode verurteilt und gehängt.

Das ehemalige deutsche und ausländische Personal des Lagers stand von Herbst 1947 bis Frühjahr 1948 im Hamburger Curiohaus vor einem britischen Militär-gericht ("Kiel-Hassee-Cases"). Von den 24 Personen, die wegen Mordes angeklagt worden waren, sprachen die Richter sieben – zumeist aus Mangel an Beweisen – frei und verurteilten 15 Männer zu Haftstrafen zwischen zwei und 20 Jahren Gefängnis. Der dänische Lagersanitäter Orla Eigil Jensen – verant-wortlich für Ermordung kranker und schwer verletzter Häftlinge - und der einstige stellvertretende Kommandant Otto Baumann wurden zum Tode verur-teilt. Jensens Strafe wurde in lebenslange Haft umgewandelt, Baumann 1948 hingerichtet. Alle anderen Verurteilten kamen bis spätestens 1956 aus den Gefängnissen frei.

Durch die deutsche Justiz wurden die Verbrechen im „Arbeitserziehungslager Nordmark“ nicht gesühnt. Zwar ermittelte die Staatsanwaltschaft von 1946 bis 1967 mehrfach gegen Täter wegen Mord, Totschlag oder Beteiligung daran, doch reichte es in keinem Fall zu einer Anklageerhebung oder Verurteilung. Auch dem erst 1963 verhafteten Hauptverantwortlichen für das Lager, dem ehemaligen schleswig-holsteinischen Gestapo-Chef Fritz Schmidt, konnte die Anklagebehörde keinen Mord mehr nachweisen.

Das Gelände nach 1945

4. Mai 1945 Befreiung des Lagers durch die britische Armee

1945 „Displaced-Persons-Camp“

1948-1962 Unterbringung von deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen

1947 Exhumierung von 52 Toten

1949 Exhumierung von 57 Toten

1960er-Jahre Ansiedlung von Gewerbebetrieben, Bau von Sportanlagen

1962 Exhumierung von 41 Toten

1971 Städtischer Gedenkstein

(Rendsburger Landstraße/Seekoppelweg)

1982 Freilegung der Grundmauern des SS-Gästehauses durch den

„Arbeitskreis Asche-Prozeß“

1983 Broschüre zur Geschichte des „AEL Nordmark“;

Diskussion um eine Dokumentations- und Gedenkstätte

1985 Aufstellung eines Gedenksteins an der Rendsburger Landstrasse;

Beginn der jährlichen Gedenkfeiern der Stadt Kiel vor Ort

1990 Aufnahme aller (un)bekannten Opfer des „AEL Nordmark“ in

bis 1993 das Gedenkbuch der Stadt Kiel in der Ehrenhalle im Rathaus

1991 Buchveröffentlichung: Detlef Korte:

‚Erziehung’ ins Massengrab.

1992 Stelenfeld „Appell“ von „Arbeit für Alle“ im Mai,

Abbau nach starken Zerstörungen im September 1992

Erstellung einer Gedenkstättenübersicht zu Kiel

1995 Aktion „Spurensuche - Spurenlegen. Gedenkzug KZ am Russee“

2000 Fund eines Gedenksteinüberrestes

2003 Einweihung Gedenkort „Arbeitserziehungslager Nordmark“

Otto Baumann

Geboren 1908 in Stuttgart.  Mechaniker, Landwirt.  1931 SS-Mitglied  1944-45 Gestapo Kiel, stellv. Lagerkommandant.  1948 Hinrichtung in Hameln. (Mehr zu den Biografien von Tätern und Täterinnen)


Einführung zum Gedenkort am Kieler Russee

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