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Jens Rönnau

Der Flandernbunker als Bildungs- und Gedenkstätte


Seit fast einem Menschenleben steht er vor dem Haupttor des Tirpitzhafens in Kiel: der Flandernbunker. Gebaut wurde er – vermutlich unter Einsatz von Zwangsarbeitern – 1943 als Marine-Hochbunker für die 5. U-Bootflottille, deren Wohnschiff „Milwaukee“ direkt gegenüber seinen Liegeplatz hatte. Er war aber nicht nur für die Marinesoldaten zugänglich, sondern zunächst eingeschränkt auch für Angehörige der Marine, später wohl für die gesamte Bevölkerung der Umgebung. Im letzten Kriegshalbjahr diente er in seinem Obergeschoss als Notkommandantur des Kriegshafens. Von hier aus wurden nach Bombenangriffen auch Hilfstrupps organisiert.

Nach Kriegsende nutzten zunächst die britischen Besatzungstruppen den Flandernbunker, dann wurde er durch Mauer- und Deckendurchbrüche militärisch unbrauchbar gemacht. So lag er dann Jahrzehnte da, als Ruine, auf der allmählich Moos, Gras und Bäume zu wachsen begannen und die zudem künstlich eng mit Bäumen und Rankgewächsen umpflanzt wurde. Man plante hier eine Bundeswehrapotheke, später verkaufte der Bund das Objekt an einen Privatmann, der hier eine Diskothek einrichten wollte. 2001 schließlich kam der Bunker zur Zwangsversteigerung – just in dem Moment, als die heftig umstrittene Ruine des U-Bootbunkers „Kilian“ zwecks Hafenerweiterung zerstört wurde. Vehement hatte der Verein Mahnmal Kilian* sich für den Erhalt der denkmalgeschützten Ruine eingesetzt, um hier Bildungsarbeit leisten zu können (vgl. ISHZ 39, S. 105). Jetzt zögerte er nicht und erwarb den Flandernbunker auf der Versteigerung.

Seitdem nutzt der Verein Mahnmal Kilian den grauen Klotz und baut ihn zudem behutsam so um, dass der Charakter der Ruine erhalten bleibt – nicht zuletzt deshalb, weil das Objekt seit Ende 2004 unter


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Denkmalschutz steht. Vor allem aber ist dem Verein die Symbolfunktion des Bunkers als nicht funktionierendes Kriegsgerät wichtig, denn das Motto lautet: Vermittlung von Geschichte zur Völkerverständigung und Friedensförderung.

In diesem Sinne organisiert der Verein dort seit 2001 regelmäßig Führungen zur deutschen und Kieler Kriegsgeschichte mit Zeitzeugen. Ausgehend von den Erlebnissen der Bevölkerung mit dem Bombenkrieg an Orten wie diesem Bunker werden Themen wie NS-Herrschaft, Verfolgung, Vernichtung, Zwangsarbeit oder Flucht und Vertreibung präsentiert. Dabei hat sich erwiesen, dass viele Menschen eher bereit sind, sich mit den genannten Themen zu beschäftigen, wenn sie aus der Betrachtung ihrer persönlichen Erlebnisse heraus entwickelt werden oder aus den Berichten nahestehender Personen. Ein solch biografischer Ansatz hat sich bislang als Basis im Flandernbunker bewährt. Hierzu stellt sich durch diesen speziellen Ort zusätzlich eine emotionalisierende Atmosphäre ein, welche die Besucher aufschließen kann und Fragen stellen lässt. Der Bunker hat also auch eine Katalysatorfunktion. Entsprechende Erfahrungen werden bei den Führungen gemacht – insbesondere mit Schulklassen.

Zusätzlich werden im Flandernbunker Vorträge, Lesungen, Diskussionen, Theaterstücke, Filmvorführungen und Ausstellungen durchgeführt.


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So gab es verschiedene Vorträge zu Themen wie Mitmarschieren im „Dritten Reich“, Widerstand, Zwangsarbeit, Judenverfolgung in Kiel, zur Olympiade 1936 oder zur Frage der Gewaltprävention in der Gegenwart. Es fanden zahlreiche Diskussionen mit Zeitzeugen statt, britische Besatzungssoldaten von 1945 referierten, ein polnischer Zwangsarbeiter, der das Arbeitserziehungslager in Russee knapp überlebt hatte, besuchte den

Bunker und berichtete. Ein Gottesdienst wurde vom Militärpfarrer gehalten. Lesungen zum Ersten Weltkrieg fanden statt, auch szenische Lesungen und Theaterstücke mit dem Theater Kiel und dem Jugendclub des Landestheaters. Kleinere historische Ausstellungen, eine Kunstausstellung bis hin zu einer Schau, die aktuelle Neonazi-Schmierereien thematisiert, wurden gezeigt. Eines der bislang umfassendsten Projekte waren 2005 die „Gekreuzten Erinnerungen“ mit Zeitzeugen der Partnerstädte Kiel und Brest, die gegenseitig die Städte besuchten und vor Schulklassen, Studenten und in öffentlichen Veranstaltungen referierten und diskutierten. Zugleich wurde eine umfassende historische Ausstellung entwickelt, die zweisprachig seitdem in Kiel und Brest kursiert. Seit Ende 2005 betreibt der Verein in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter Kiel sowie dem Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum und dem Offenen Kanal Kiel ein Projekt zur Befragung von Kriegszeugen. Zehn Mitarbeiter sind damit drei Jahre lang beschäftigt. Spezielle Angebote für Schulklassen werden seit fünf Jahren erprobt und derzeit intensiv vorbereitet.

Seit einem Jahr wird der Flandernbunker mit Hilfe öffentlicher Gelder, vor allem aber mit massiver Sponsoren-Unterstützung behutsam saniert, sodass er zu allen Jahreszeiten multifunktional nutzbar ist. Er soll künftig sowohl weitgehend in seiner originären Form wie auch mit didaktischen Zusätzen im Sinne eines musealen Konzepts erlebbar sein. Dazu gehören ein beheizbarer Veranstaltungsraum sowie Büros und Toiletten im Erdgeschoss. Es wird zwei Räume für Exponate geben wie auch den Einsatz elektronischer Medien. Verschiedene Bereiche bleiben frei oder sind Sonderausstellungen vorbehalten. Lokale und überregional bekannte Künstler entwickeln schon jetzt Projekte für künftige Ausstellungen.

Der Verein Mahnmal Kilian hat rund 350 Mitglieder aus verschiedenen Altersgruppen und sozialen Schichten. Zu den Mitgliedern zählen auch zahlreiche Zeitzeugen des „Dritten Reichs“, auch ausländische, darunter ehemalige polnische Zwangsarbeiter wie auch seit kurzem einer der einstigen britischen Besatzungssoldaten. Die Arbeit wird fast ausschließlich von rund 20 Ehrenämtlern erledigt, in früheren Zeiten teilweise von ABM-Kräften, derzeit auch von insgesamt 14 so genannten Ein-Euro-Kräften. Seit November 2006 hat der Verein zunächst für zwei Jahre eine Vollzeitstelle eingerichtet.


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Hinter dem Umgang mit dem Bunker und allen Veranstaltungen steht die Frage nach den Zielen der Geschichtsvermittlung, denn die notwendige Vermittlung aller negativen Momente der NS-Gewaltherrschaft und die notwenige Vermittlung des Leids ihrer Opfer in aller Welt kann nur der Ausgangspunkt einer entsprechenden umfassenden Pädagogik für Jugendliche und Erwachsene sein. Dem anschließen muss sich die Frage, wie die Erkenntnisse aus der Geschichte genutzt werden können zu einer positiven Bewältigung von Gegenwart und Zukunft. Insofern sollte das Wissen um die historischen Gegebenheiten auch genutzt werden, um für die Probleme der Gegenwart zu sensibilisieren, um mögliche Parallelen erkennen zu können und präventive Modelle zu entwickeln.

Der Flandernbunker kann in diesem Sinne ein Nukleus sein, ein Schnittpunkt von Geschichte und Gegenwart, ein Ort der offenen Diskussion. Er erfüllt verschiedene Funktionen: Der Bunker ist sowohl Gedenkstätte und Bildungseinrichtung wie auch Denkmal, Mahnmal und Museum.

*Verein für Vermittlung von Geschichte zur Friedensförderung und Völkerverständigung - Hindenburgufer / Eingang Tirpitzhafen. Kontakt: Jens Rönnau, Gellertstraße 29, 24114 Kiel, Tel. 0431 / 93609, Mail: jens.roennau@t-online.de


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 47 (2006) S. 101 - 104. Im Original enthält der Beitrag 1 Abbildung.


Die Verfasser: Jens Rönnau, geb. 1958, Studium der Kunstgeschichte, Volkskunde, Philosophie und Pädagogik in Kiel nd Berlin. Freier Journalist seit 1978. 1995 Gründer des Vereins Mahnmal Kilian zum Erhalt des U-Bootbunkers, seitdem Vorsitzender. 1998 Deutscher Preis für Denkmalschutz an den Verein Mahnmal Kilian e.V.



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