Tino Jacobs

 

„Besitzt die Eignung zum höheren Führer“

Georg Henning Graf von Bassewitz-Behr – eine SS-Karriere

 

Die Kieler Woche 1934 wurde von den Nationalsozialisten für eine Propagandaschau von besonderen Ausmaßen genutzt. So veranstaltete der SS-Abschnitt XX (Schleswig-Holstein) die „2. SS-Reichszielfahrt zur Ostsee“, ein militaristisch aufgeladenes Motorsport-Ereignis, zu dem SS-Männer in allen Teilen des Reichsgebietes aufbrachen. In der Festbroschüre pries Kiels Oberbürgermeister Behrens die Zielfahrt als „nüchterne Probe auf die Leistungskraft“ der motorisierten SS-Formationen, und ein 34-jähriger SS-Obersturmführer aus Mecklenburg namens Georg Henning Graf von Bassewitz-Behr, der dem Schiedsgericht angehörte, schlug noch martialischere Töne an: „Die Motor-Formationen sind die Formationen der Zukunft! Ihre Aufgabe heißt: Die Ersten am und im Feind! Nur ein vorwärtsstürmender und revolutionierender Geist kann diese Aufgabe lösen! Die Motor-SS. besitzt diesen Geist und wird ihn bei der 2. Reichszielfahrt der SS. wiederum beweisen.“[1]

Der Ehrgeiz, stets in vorderster Linie gegen „den Feind“ vorzugehen, sollte den Grafen von Bassewitz-Behr (1900–1949) während seiner gesamten SS-Laufbahn nie verlassen – was während des Zweiten Weltkriegs das Leid und den Tod tausender Menschen in der Ukraine, in Weißrussland und Norddeutschland zur Folge hatte. Denn nachdem Bassewitz-Behr in den besetzten Gebieten der Sowjetunion tatkräftig an der Ermordung der Juden und am Terror gegen die Zivilbevölkerung mitgewirkt hatte, wurde er im Frühjahr 1943 zu Himmlers Stellvertreter im Wehrkreis X ernannt. Bis zur Befreiung im Mai 1945 residierte Bassewitz-Behr als Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF) und Führer des SS-Oberabschnitts Nordsee in Hamburg. Er sollte im Mobilmachungsfall das Kommando über alle SS- und Polizeikräfte in Schleswig-Holstein, Hamburg sowie im nordwestlichen Teil des heutigen Niedersachsen übernehmen, ohne jedoch – das war für die Funktionsweise dieser Instanz entscheidend – in die herkömmlichen Befehlsstrukturen von SS, Sicherheitspolizei und Ordnungspolizei eingebunden zu sein.[2]

Die HSSPF waren allein von Himmler abhängig und wurden erst ab 1938 in den NS-Terrorapparat im Deutschen Reich eingefügt (ab Kriegsbeginn dann auch in den besetzten Gebieten). Zum einen sollten sie dezentral die Amalgamierung von SS und Polizei vorantreiben, welche Himmler in seiner Doppelfunktion als „Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei“ bereits verkörperte. Zum anderen sollten sie als flexible Ein-Mann-Schaltzentralen vor allem ideologische und sicherheitsstrategische Akzente setzen: Himmler sah sie nicht nur als seine regionalen Stellvertreter an, sondern auch als Vorposten jenes NS-„Staatsschutzkorps“, das er als Eliteeinheit und Motor einer zukünftigen Gesellschaftsordnung formen wollte. Dabei wurde das anfangs wenig umrissene Tätigkeitsfeld der HSSPF durch Einzelweisungen Himmlers bestimmt; im weiteren Kriegsverlauf erwuchsen den HSSPF dann erhebliche Spielräume, welche von den insgesamt 47 Inhabern dieses Postens je nach Persönlichkeit und regionaler Machtkonstellation unterschiedlich genutzt wurden.[3]

Wie fatal sich diese lockere Konstruktion nach 1945 bei der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen auswirkte, wurde Ende August 1947 deutlich, als Bassewitz-Behr in einem Kriegsverbrecherprozess im Hamburger Curio-Haus vom britischen Militärgericht in allen Anklagepunkten freigesprochen wurde. Drei Wochen lang hatten die Ankläger in diesem ersten der so genannten Fuhlsbüttel-Prozesse nachzuweisen versucht, dass Bassewitz-Behr als HSSPF die Misshandlung bzw. Tötung von ausländischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen in Hamburg und im KZ Neuengamme angeordnet hatte – ohne Erfolg.[4] Schriftliche Beweise fehlten oder waren vernichtet worden, und widersprüchliche Zeugenaussagen sowie die Komplexität des NS-Herrschaftsgefüges machten eine Rekonstruktion der Verantwortlichkeiten nahezu unmöglich; der Angeklagte selbst behauptete dreist, er habe lediglich als Mittelsmann Himmlers ohne eigene Befehlsgewalt fungiert. Der Freispruch löste einen Aufschrei in der linken Presse und bei NS-Verfolgten aus. „Es ist ein Urteil, welches den Freispruch weiterer Massenmörder der SS und Gestapo zur Folge haben wird, wenn die Öffentlichkeit hierzu schweigt“, so die Befürchtung des KPD-Organs Hamburger Volkszeitung.[5]

Für Bassewitz-Behr war die Aussicht auf Bestrafung jedoch nicht ausgestanden, im Gegenteil: Am 16. September 1947 wurde er den sowjetischen Militärbehörden übergeben – eine Maßnahme, der er sich durch einen Suizidversuch mit Gift zu entziehen versuchte. Für den Mord an 45.000 Zivilisten in der Gegend von Dnjepropetrowsk, wo Bassewitz-Behr 1941/42 SS- und Polizeiführer (SSPF) gewesen war, wurde er dann zu 25 Jahren Strafarbeit verurteilt und starb im Januar 1949 im Straflager Magadan im ostsibirischen Kolyma-Gebiet.[6]

Mit seiner Auslieferung an die Sowjetunion wurde Bassewitz-Behrs schlimmster Albtraum Wirklichkeit, denn antibolschewistische Ängste hatten seine politischen Überzeugungen schon seit den zwanziger Jahren geprägt. Zwei weitere Merkmale, die sich wie rote Fäden durch das Leben und die SS-Karriere des Grafen zogen, waren der Drang, sich auf militärischem Gebiet zu beweisen, und vor allem seine aristokratisch-elitäre Grundgesinnung. Diese Wesenszüge und Dispositionen nahmen ihren Anfang in der Herkunft und generationellen Prägung Bassewitz-Behrs.

 

In der „Garde der Bewegung“

Am 21. März 1900 wurde Georg Henning Graf von Bassewitz-Behr als Spross eines Jahrhunderte alten mecklenburgischen Adelsgeschlechts auf dem familieneigenen Gut Lützow (heutiger Landkreis Nordwestmecklenburg) geboren. Nachhaltig prägend waren für den Heranwachsenden vor allem zwei Ereignisse: zum einen der Tod des Vaters im Jahre 1915, denn als einziger männlicher Stammhalter fühlte sich der gerade 15-Jährige fortan für seine Mutter, seine vier Schwestern und die Familiengüter (Gesamtgröße: 2500 Hektar) verantwortlich; zum anderen der Erste Weltkrieg, den Bassewitz-Behr in mehrfacher Hinsicht als persönliche Katastrophe erlebte.

In der Hoffnung, noch aktiv für einen Sieg der Mittelmächte kämpfen zu dürfen, meldete sich der junge Großgrundbesitzer Bassewitz-Behr nach dem Abitur im Frühjahr 1918 freiwillig für den Kriegsdienst. Doch die Ausbildung bei den Königlich-preußischen Kürassieren in Pasewalk führte zu keinem Fronteinsatz mehr. Hinzu kamen die Enttäuschung über die deutsche Niederlage und die Angst vor Enteignung in Folge der anschließenden Revolutionswirren – für den jungen Grafen waren es traumatische Monate.

Die Erfahrung des verpassten Fronteinsatzes teilte Bassewitz-Behr unter anderem mit Heinrich Himmler und dem späteren Hamburger Gauleiter, Karl Kaufmann, die ebenfalls dem Geburtsjahrgang 1900 angehörten. Er lässt sich somit der so genannten Kriegsjugendgeneration zurechnen, für die der Erste Weltkrieg zum „bohrenden Stachel der verpaßten Chance der Bewährung“ wurde.[7] Anders jedoch als etwa die junge Führungsriege des Reichssicherheitshauptamtes, die überwiegend der unteren Mittelschicht entstammte, schlug Bassewitz-Behr keine akademische Laufbahn ein. Auch innerhalb der Gruppe der späteren Höheren SS- und Polizeiführer war er kein typischer Vertreter: 70 Prozent von ihnen gehörten zur Frontgeneration, und nur neun von insgesamt 47 HSSPF waren adlig.[8] Der verlorene Krieg blieb dennoch für alle die entscheidende und verbindende Zäsur.

Bassewitz-Behr heiratete eine adlige Offizierstochter, gründete eine Familie und verbrachte die 1920er Jahre mit der Bewirtschaftung seiner Güter in Mecklenburg. Diese Phase erlebte er als „Niedergang der Landwirtschaft“ und „wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch“ Deutschlands. Vor allem sah er seine eigenen altständischen Adelsprivilegien bröckeln. Die Agrarkrise, der politische Extremismus der Weimarer Republik und die „Gefahr des Kommunismus“ führten bei Bassewitz-Behr zu persönlicher Krisenerfahrung und einem Gefühl der Bedrohung, woraus 1930 die Entscheidung reifte, sich in der ehemaligen deutschen Kolonie Südwestafrika eine neue Existenz als Farmer aufzubauen. Doch schon nach wenigen Monaten kehrte er zurück, denn der Graf – offenbar angestoßen durch die Lektüre von Hitlers Mein Kampf – hatte plötzlich eine neue Heimat gefunden: die NS-Bewegung und ihre Ideologie.

Es war ein ganzes Bündel von Aspekten, das Bassewitz-Behr für das NS-Weltanschauungskonglomerat begeisterte. Protestantische Schlagworte fand der regelmäßige Kirchgänger dort ebenso wieder wie antibolschewistische Parolen, und die Vision eines „neuen Deutschlands“ beflügelte ihn ebenso wie die Aussicht, den beängstigenden Klassenkampfgedanken zu überwinden. Nicht ohne Stolz bekannte Bassewitz-Behr später gegenüber den britischen Militärs: „Ich glaube, dass ich der erste Adlige Mecklenburgs war, der der Partei beitrat.“[9]

Innerhalb weniger Monate trat Bassewitz-Behr – männerbündisch ‚vorgebildet‘ durch seine „Stahlhelm“-Mitgliedschaft – in die NSDAP, das NSKK und die SS ein. Er unterstützte die NS-Bewegung in Mecklenburg materiell und stellte sein Automobil für Parteiveranstaltungen und Wahlkämpfe zur Verfügung. Eine besondere Affinität entwickelte er jedoch sofort zu Himmlers Konzept von der SS als dem neuen Elite-Orden: „Die SS wurde mir damals als die Garde der Bewegung hingestellt, die durch Treue, Verantwortung, Einfachheit, Ehrlichkeit, Pflichterfüllung und anderer hervorragender [sic] Charaktereigenschaften dem Volk ein besonders gutes Vorbild sein wollte. Da meine Vorväter von jeher in der Garde gedient hatten, war es für mich eine selbstverständliche Pflicht, dieser Formation beizutreten.“[10] Dass er sich in der SS auch den Befehlen eines Schmiedegesellen aus dem Nachbarort zu fügen hatte, schien Bassewitz-Behr nicht zu stören, im Gegenteil: Die SS bot dem Grafen die Chance, seine schon verloren geglaubte aristokratische Autorität in Himmlers „neuen Adel“ zu transformieren und seine soziokulturelle Führungsrolle in die neue Zeit hinüberzuretten.[11]

Ab 1932 engagierte sich Bassewitz-Behr verstärkt in den motorisierten SS-Formationen, zunächst in Schwerin, dann in Hamburg. Dabei konnte er seine private Leidenschaft für Fahrzeuge und Maschinen in den Dienst eines politischen Soldatentums stellen. Als Himmler ihn im April 1934 zum SS-Oberabschnittsstaffelführer Nord machte, erhielt Bassewitz-Behr erhebliche Gestaltungsbefugnis für das gesamte SS-Motorwesen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Nordwestniedersachsen. Dieser Aufgabe widmete er sich mit Verve und kämpferischer Attitüde, wie die eingangs zitierte Parole anlässlich der Kieler Woche 1934 zeigt. Die logische Folge war, dass Himmler den Grafen im August 1936 ins Führungsamt des SS-Hauptamtes in Berlin holte, als hauptamtlichen Inspekteur des gesamten SS-Kraftfahrwesens. Mehr als vier Jahre lang blieb Bassewitz-Behr dort, um den Motorisierungsgedanken innerhalb der SS voranzutreiben und über die Zuteilung von Fahrzeugen und Benzin zu entscheiden. Dann begann seine eigentliche Karriere im Terror- und Vernichtungsapparat des NS-Regimes.

 

Radikalisierung

Die vier Etappen von Bassewitz-Behrs prägendem Einsatz „im Osten“ sollen hier nur in aller Kürze skizziert werden.[12] Von Ende April bis Ende Juli 1941 war er zunächst als Logistikexperte und Quartiersmeister im „Kommandostab Reichsführer-SS“ tätig, der kurz vor dem Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion gebildet worden war, um im rückwärtigen Heeresgebiet mit speziellen SS-Brigaden brutal gegen die russischen Juden und die Zivilbevölkerung vorzugehen. Von August bis November 1941 diente er dann als „Landwirtschaftlicher Referent“ im Stab des Höheren SS- und Polizeiführers Ostland, Hans-Adolf Prützmann, in Riga. Was Bassewitz-Behr später verharmlosend als „rein landwirtschaftliche Tätigkeit“ bezeichnete, war Teil des mörderischen Vernichtungs- und Ausbeutungsprogramms im Baltikum, das die SS teils in Konkurrenz und teils in Ergänzung zur zivil organisierten Gewalt- und Willkürherrschaft des Reichskommissars Ostland und schleswig-holsteinischen Gauleiters, Hinrich Lohse, umzusetzen begann. Anschließend folgte Bassewitz-Behr Prützmann nach Kiew, als dieser Ende 1941 zum HSSPF Ukraine/Russland-Süd ernannt wurde. Himmler machte den Grafen dort zum SS- und Polizeiführer Dnjepropetrowsk, wo er unter dem Deckmantel „polizeilicher Sicherung“ zur präventiven Ermordung tausender Partisanen-Verdächtiger beitrug und auch die Mordaktionen gegen die Juden mitkoordinierte.

Himmler war mit Bassewitz-Behrs Arbeit zufrieden und versetzte ihn im August 1942 zum Stab des für seine Skrupellosigkeit berüchtigten HSSPF Russland-Mitte, Erich von dem Bach, ins weißrussische Mogilew. Bassewitz-Behr profilierte sich schnell als wichtigster Mitarbeiter und bald auch offizieller Stellvertreter des HSSPF. In von dem Bach – einem ehemaligen Taxifahrer – erblickte der Graf seinen persönlichen „Lehrmeister“ und assistierte ihm eifrig bei „Bandenkampf“ und Judenmord. Der Mentor war begeistert; an Himmlers Verbindungsoffizier im Führerhauptquartier, Karl Wolff, schrieb von dem Bach: „Ich habe bisher noch nie einen Mitarbeiter gehabt, der eine solch schnelle Auffassungsgabe besitzt. [...] Über eine Sache bin ich direkt überrascht und das ist über sein angeborenes taktisches Verständnis. Für einen Nichtsoldaten des Weltkrieges ist mir dies eine grosse Überraschung. Bassewitz wird also die Truppen im Partisaneneinsatz gut führen.“[13]

Zentrale Aufgabe Bassewitz-Behrs in Weißrussland war die Organisation der mörderischen Großoffensiven mit den Decknamen „Karlsbad“ und „Hamburg“. Im Rahmen der Operation „Karlsbad“ brachte die SS im Oktober 1942 nordöstlich von Minsk innerhalb von zwölf Tagen mehr als 1000 Menschen um. Und am 20. Dezember 1942 verkündete Bassewitz-Behr in einem Fernschreiben an Himmler die Bilanz des „Unternehmens Hamburg“: 6172 „Feindverluste“ bei sieben Toten aus den Reihen der SS, dazu „große Mengen“ an Beute. Bassewitz-Behr war zuvor von Himmler mit der „Durchführung der Aufgabe in Weißruthenien“ beauftragt worden, und seine führende Rolle bei der Organisation dieses Massakers, dem noch das Teilunternehmen „Altona“ mit weiteren 1000 Ermordeten folgte, steht außer Frage. So qualifizierte er sich in Himmlers Augen auch für die neu zu besetzende Stelle des HSSPF in Hamburg. Als Bassewitz-Behr Mogilew im Januar 1943 verließ, dankte er seinem Mentor Erich von dem Bach „für die 6 Monate, die ich unter Dir kämpfen und arbeiten durfte. [...] So kann ich diese Monate zu den schönsten meiner nunmehr 12 Jahre langen Zugehörigkeit zur SS zählen [...]“. [14]

 

Zurück nach Norddeutschland

Die Radikalisierung Bassewitz-Behrs durch seinen Einsatz in den besetzten Sowjetgebieten wirkte sich auf seine nachfolgende Tätigkeit in Nord-deutschland aus.[15] Ab Mitte Februar 1943 war er zunächst kommissarisch und nach seiner Beförderung zum SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei am 20. April 1943 dann offiziell Höherer SS- und Polizeiführer im Wehrkreis X [16], zugleich auch Führer des SS-Oberabschnitts Nordsee. Seinen Dienstsitz hatte er in der repräsentativen Laeisz-Villa an der Hamburger Außenalster und pflegte auch privat einen feudalen Lebensstil. Seine Alsterdorfer Privatvilla bestückte er mit Leihgaben aus der Kunsthalle und dem Hotel „Vier Jahreszeiten“ (in dem er des öfteren bei wilden Feiern anzutreffen war), er ging auf die Jagd und hielt intensive Kontakte zu den Spitzen der Partei und der Wirtschaft. Mit Gauleiter Kaufmann, dem mächtigsten Mann vor Ort, arrangierte sich Bassewitz-Behr, ohne dass es zu bemerkenswerten Spannungen kam.[17]

Bassewitz-Behrs HSSPF-Tätigkeit stand weitaus stärker unter dem Einfluss des Kriegsgeschehens in Hamburg als diejenige seiner Amtsvorgänger Hans-Adolf Prützmann (1938–1941) und Rudolf Querner (1941–1943; Querner war maßgeblich für die Deportation der Hamburger Juden verantwortlich). Bei seinem Amtsantritt im Frühjahr 1943 fungierte der neue HSSPF als

- Ansprechpartner für Verwaltung, Partei, Wehrmacht und Kaufmannschaft zu Himmler

- Vermittler bei Spannungen zwischen Allgemeiner SS, Waffen-SS, Ordnungs- und Sicherheitspolizei

- Verantwortlicher für die Optimierung der Luftschutzpolizei

- Kontrollinstanz gegenüber dem Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO) sowie dem Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD (IdS)[18]

- Stellvertreter Himmlers in dessen Funktion als „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“

- Verantwortlicher für die „Disziplinierung“ ausländischer Zwangsarbeiter,

- Gerichtsherr der lokalen SS- und Polizeigerichtsbarkeit.

Später kamen dann noch folgende Aufgaben hinzu:

– Zuständigkeit für das Kriegsgefangenenwesen im Wehrkreis X

– Koordination der Rückführung von Zwangsarbeitern, KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen im Falle eines Vorrückens der Alliierten in Norddeutschland.

Als Schlichter musste Bassewitz-Behr z.B. gleich zu Beginn seiner Amtszeit in Flensburg auftreten, wo ein offener Konflikt zwischen dem neu eingesetzten Polizeidirektor Hans Hinsch und dem Leiter des Feuerlösch- und Entgiftungsdienstes, Harms, schwelte.[19] Und als Gerichtsherr der SS- und Polizeigerichtsbarkeit, die der organisationsinternen Disziplinierung und Ideologiefestigung diente, schlug der neue HSSPF eine ebenso rigorose Gangart wie seine Vorgänger an. Noch im April 1945 befürwortete Bassewitz-Behr die Todesstrafe für den Lagerführer eines Außenlagers des KZ Neuengamme, der sich in eine Kneipe abgesetzt hatte, statt einen Häftlingstodesmarsch zu beaufsichtigen.[20]

 

Repressionen gegen Ausländer

Abgesehen von der Rekrutierung frischer Einsatzkräfte aus anderen Städten trug Bassewitz-Behr Ende Juli/Anfang August 1943 offensichtlich nur wenig zur Lenkung der Lösch- und Rettungskräfte nach den schweren Bombenangriffen auf Hamburg („Unternehmen Gomorrha“) bei.[21] Mit mörderischen Konsequenzen nahm er die Luftangriffe jedoch zum Anlass, gegen Ausländer und Zwangsarbeiter in Hamburg vorzugehen. Aus Sicht des HSSPF „bestand die Gefahr, daß durch die frei herumlaufenden Ausländer und durch kriminelle Elemente die öffentliche Sicherheit und Ordnung stark gefährdet wurde.“ Dem Polizeipräsidenten Kehrl stellte er deshalb zur Kontrolle von Ausländern und KZ-Häftlingen einen „Sicherungsverband“ aus 25 Kompanien der Polizei und Waffen-SS zur Verfügung.[22] Außerdem ließ Bassewitz-Behr zur „Disziplinierung“ der Ausländer die Sicherheitspolizei personell stark aufstocken. „Als Richtlinie gab ich ihr den Befehl, gegen Ausschreitungen der ausländischen Zivilarbeiter mit den schärfsten Maßnahmen vorzugehen, unter rechtzeitigem Gebrauch der Schußwaffe [...].“ Lapidar präsentierte der HSSPF seinem Vorgesetzten Himmler zehn Tage nach dem Ende der Angriffe die Bilanz seiner Anweisungen: „Im Zuge dieser Maßnahmen wurden bis heute 16 ausländische Arbeiter kurzerhand erschossen. Diese Maßnahme wirkte jedesmal sehr abschreckend und führte im vollen Umfange zum Erfolg.“[23] Es gibt Hinweise darauf, dass die Opferzahl der Polizeipatrouillen noch höher war.

Ob Bassewitz-Behr aber auch konkret die Ermordung einzelner „Fremdarbeiter“ anordnete, lässt sich nicht mehr klären. Im Prozess vor dem britischen Militärgericht wurde ihm vorgehalten, er habe im November 1943 die Erschießung von fünf weiblichen Kriegsgefangenen der Roten Armee befohlen, welche in der Altonaer Noleiko-Fabrik gestreikt hatten. Doch die Beweise fehlen.[24] Ebenso ist unklar, welche Rolle Bassewitz-Behr bei der Exekution von acht Russen spielte, die am 30. Juli 1943 im Hamburger Krankenhaus St. Georg während eines Nachtangriffs aus Panik ihre Stationen verlassen hatten. Der HSSPF wurde von Himmler per Telegramm für „scharfes und sofortiges Durchgreifen bei den Russen“ gelobt, auch wenn die Gestapo möglicherweise eigenmächtig gehandelt hatte.[25] Unabhängig davon, ob Bassewitz-Behr die „Sonderbehandlungen“ persönlich anordnete, ist unstrittig, dass er sie befürwortete. Schließlich hatte er selbst eine Art rechtsfreien Raum für die Sicherheitskräfte in der Stadt geschaffen, der zur hemmungslosen Dezimierung der Zwangsarbeiter geradezu aufforderte.

Auch in seiner Funktion als Vertreter des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums (RKF) exponierte sich Bassewitz-Behr auf radikale Weise. So genehmigte er u.a. im November 1944 der Stapostelle Kiel, eine Zwangsabtreibung an einer „Ostarbeiterin“ vorzunehmen, die ein Kind von einem Deutschen erwartete. Nur weil ein Sachbearbeiter entdeckte, dass der Frau bereits „Eindeutschungsfähigkeit“ bescheinigt worden war, widerrief der HSSPF die Entscheidung.[26]

 

Mörderische Entscheidungen kurz vor Kriegsende

Im letzten Jahr seiner HSSPF-Tätigkeit wurde Bassewitz-Behr durch neue Weisungen zunehmend in militärisch-strategische Zusammenhänge eingebunden. So fungierte er ab Oktober 1944 zusätzlich als Höherer Kommandeur der Kriegsgefangenen im Wehrkreis X. [27] Und für den Fall eines alliierten Vormarsches in das „Gebiet der Nordsee-Küste“ arbeitete er mit seinem Stab sogar schon im Frühjahr 1944 einen dreistufigen Alarmplan aus, um gegebenenfalls alle Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangenen an bestimmten Orten konzentrieren und ins frontferne Hinterland transportieren zu können.[28]

Ende März 1945 trat der Ernstfall ein. Im Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel begann damit die Vernichtung der Akten und die Zusammenziehung von 180 Polizeihäftlingen aus anderen Strafvollzugsanstalten. Das Gros der rund 1000 Häftlinge wurde anschließend auf einem mörderischen Fußmarsch ins „Arbeitserziehungslager“ Kiel-Russee getrieben.[29 ]Dagegen brachte die Gestapo 71 angeblich besonders „gefährliche“ Häftlinge ins KZ Neuengamme, wo sie anschließend im „Bunker“ von der Lager-SS umgebracht wurden. Der Grad der Verwicklung Bassewitz-Behrs in diese Aktion ist umstritten und wurde ergebnislos vor Gericht verhandelt. Der ehemalige KZ-Kommandant Max Pauly behauptete, der HSSPF persönlich habe die Tötung der Gefangenen auf mündlichem Wege angeordnet. Doch die Befehlskette ließ sich nicht rekonstruieren. Gleichwohl ist klar, dass Bassewitz-Behr schon vor dem Abtransport der Häftlinge wusste, was diesen bevorstand.

Zeitgleich wurde der Mobilisierungsplan auch im gesamten Lagerkomplex des KZ Neuengamme umgesetzt. Rund 15.000 Häftlinge kamen in den letzten Kriegswochen auf Todesmärschen und Bahntransporten, durch Hunger oder Willkür der SS-Bewacher ums Leben. Auf Bassewitz-Behrs Anweisungen hin erfolgte zunächst die Rückführung aus den Außenlagern ins Stammlager sowie in die völlig überfüllten Auffanglager Bergen-Belsen, Wöbbelin und Sandbostel. In enger Absprache mit Gauleiter Kaufmann und der Lagerkommandantur gab Bassewitz-Behr schließlich den Befehl zur Räumung des Stammlagers und zur Verbringung tausender KZ-Häftlinge auf die Schiffe in der Lübecker Bucht, die als mobile Ausweichlager dienten.[30] Für den HSSPF waren die Häftlinge nichts weiter als eine – bestenfalls aus taktischen Gründen wertvolle – Verfügungsmasse, die sich je nach Bedarf von einem Ort zum anderen verschieben ließ. Den Tod tausender Menschen nahm er gleichgültig in Kauf.[31]

Während Bassewitz-Behr einerseits das mörderische Programm der KZ-Räumungen bis zum Ende mit vorantrieb, war ihm andererseits bewusst, dass der Terrorherrschaft der SS der Boden entzogen wurde. Dennoch bemühte er sich bis zum Schluss, die Funktionen des NS-Gewaltregimes aufrechtzuerhalten. Als HSSPF unterstützte er noch im April 1945 die berüchtigte „Werwolf“-Organisation, die mit Guerillamethoden eine Zusammenarbeit von Deutschen mit den Alliiertensabotieren sollte. Und mit Himmlers Einwilligung ließ er sich zur selben Zeit zum „General der Wehrmachtordnungstruppen“ im Stab von Generalfeldmarschall Ernst Busch ernennen, um die sich auflösenden Wehrmacht-Einheiten hinter der Front zusammenzuhalten. Schließlich tauchte Bassewitz-Behr im Mai 1945 unter, bis er vier Monate später in Bremen von Angehörigen des US-Militärs verhaftet wurde. Das Ende ist bereits erzählt.

 

Tino Jacobs

Erschienen in: Informationen zur schleswig-holsteinischen Zeitgeschichte, Heft 44, Oktober 2004, S. 50 – 65.

 

Anmerkungen

1. Festschrift anlässlich der 2. SS-Reichszielfahrt zur Ostsee vom 22.–25. Juni 1934 im Rahmen der Kieler Woche um den Ehrenpreis des Reichsführers SS und um den Ehrenpreis der Stadt Kiel, hg. von der SS-Motor-Standarte 20. Kiel 1934, S. 7.

2. Dieser Beitrag basiert auf meiner Studie Himmlers Mann in Hamburg. Georg Henning Graf von Bassewitz-Behr als Höherer SS- und Polizeiführer im Wehrkreis X 1943–1945. Hamburg 2001.

3. Grundlegend zur Tätigkeit der HSSPF: Ruth Bettina Birn, Die Höheren SS- und Polizeiführer. Himmlers Vertreter im Reich und in den besetzten Gebieten. Düsseldorf 1986.

4. Vgl. die Prozessmaterialien im Public Record Office (PRO), Kew, vor allem WO 235/389.

5. Hamburger Volkszeitung 30.8.1947. Der Begriff „Bassewitz-Freisprüche“ wurde in der HVZ fortan geradezu als Synonym für die Nichtbelangung von NS-Tätern verwendet (z.B. „Bassewitz-Freisprüche sind Deutschlands Tod“, HVZ 17.9.1947). Vgl. auch die Überschrift „Lohse auf Bassewitz-Tour – Wieder ein Unschuldslamm freigesprochen“, HVZ 17.9.1947.

6. Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hamburg (SLHH) 147 Js 11/71 U, Beiakte III/1, Bl. 220. Vgl. auch Archiv der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH), Nachlass Hans Schwarz 13-7-3-4, dort der Hinweis auf den Eintrag ins Sterberegister des Standesamts Hamburg-Winterhude. Gerüchte, Bassewitz-Behr habe aus der Haft fliehen können und sei noch im Jahr 1963 in Kontakt mit seiner Familie gewesen, konnten nicht erhärtet werden.

7. Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes. Hamburg 2002, S. 848. Zur Kriegsjugendgeneration siehe auch Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903–1989.

3. Aufl., Bonn 1996, S. 42ff.

8. Birn 1986, S. 350ff.

9. Eidesstattliche Erklärung Bassewitz-Behrs vom 20.4.1947. In: PRO WO 235/389. Zur Situation der mecklenburgischen Adligen in der NS-Zeit vgl. Mario Niemann, Mecklenburgischer Großgrundbesitz im Dritten Reich. Soziale Struktur, wirtschaftliche Stellung und politische Bedeutung. Köln u.a. 2000.

10. Eidesstattliche Erklärung Bassewitz-Behrs vom 27.4.1946. In: PRO WO 309/408.

11. Vgl. dazu neuerdings Eckart Conze, Adel unter dem Totenkopf. Die Idee eines Neuadels in den Gesellschaftsvorstellungen der SS. In: ders./Monika Wienfort (Hg.), Adel und Moderne. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert. Köln 2004, S. 151-176; in weiterer Perspektive außerdem Stephan Malinowski, Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat. 3. Aufl., Berlin 2003 (als Taschenbuchausgabe: Frankfurt a. M. 2004).

12. Vgl. dazu ausführlich Jacobs 2001, S. 41-66.

13. Schreiben vom 22.8.1942. In: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BAL), ehem. BDC-Bestand, SSO-Personalakte Bassewitz-Behr, Bl. 43135.

14. Tagebuch Erich v. d. Bach, 31.1.1943. In: SLHH 147 Js 11/71 U, III-1, S. 67/Bl. 161.

15. Dies bestätigt frühere Forschungen, vgl. etwa Gerhard Paul, Staatlicher Terror und gesell-schaftliche Verrohung. Die Gestapo in Schleswig-Holstein. Hamburg 1996.

16. Ab Februar 1944 auch „HSSPF Nordsee“ genannt; Bassewitz-Behrs Zuständigkeitsbereich umfasste die Gaue Schleswig-Holstein und Hamburg sowie Teile Niedersachsens/Bremens (zunächst einzelne Kreise der Gaue Osthannover, Weser-Ems und Südhannover-Braunschweig, ab dem 1.4.1944 dann die vollständigen Gaue Osthannover und Weser-Ems).

17. Auf dem Papier war der HSSPF den Reichsstatthaltern und Oberpräsidenten in seinem Wehrkreis sogar „persönlich und unmittelbar“ unterstellt – jedoch wurde diese Einbindung in die Verwaltung durch die gleichzeitige Immediatstellung zu Himmler konterkariert.

18. Der BdO und der IdS waren dem HSSPF als „Hauptmitarbeiter“ unterstellt und arbeiteten eng mit ihm zusammen.

19. Vgl. BAL (BDC) SSO-Personalakte Bassewitz-Behr, Bl. 43266-43270.

20. Laut Aussage des ehemaligen SS-Richters Hans Wendt lehnte Bassewitz-Behr das Gnaden-gesuch des Verurteilten Breuing mit der Begründung ab, dass es „dringend notwendig war, die Disziplin aufrecht zu erhalten“ (FZH NHS 13-7-3-4).

21. Ohnehin wurde Bassewitz-Behrs Kompetenz vielerorts angezweifelt, vgl. Jacobs 2001, S. 89-94.

22. Vortrag Bassewitz-Behrs gegenüber Himmler vom 13.8.1943. In: BAL NS 19/3661, fol. 10f.

23. Ebd., fol. 33-35.

24. Der Vorwurf stützte sich auf Beschuldigungen Albert Schweims, des ehemaligen Leiters des „Ausländerreferats“ der Hamburger Gestapo, der das Hinrichtungskommando angeführt hatte und sich freilich selbst entlasten wollte.

25. Im Normalfall beantragten die Stapoleitstellen „Sonderbehandlungen“ beim Reichssicherheitshauptamt und nicht beim HSSPF.

26. Jens Banach, Heydrichs Elite. Das Führerkorps der Sicherheitspolizei und des SD 1936–1945. Paderborn u.a. 1998, S. 215, Anm. 166.

27. Vgl. dazu ausführlicher Jacobs 2001, S. 105-108.

28. Hierzu und zum Folgenden vgl. Jacobs 2001, S. 108-117.

29. Siehe dazu den Beitrag von Uwe Fentsahm in der vorliegenden Ausgabe.

30. Vgl. hierzu auch Katharina Hertz-Eichenrode, Die Auflösung des KZ Neuengamme im Frühjahr 1945. In: dies. (Hg.), Ein KZ wird geräumt. Häftlinge zwischen Vernichtung und Befreiung. Die Auflösung des KZ Neuengamme und seiner Außenlager durch die SS im Frühjahr 1945. Bd. 1, Bremen 2000, S. 31-63.

31. Vor Gericht stilisierte er sich freilich zum Wohltäter der Häftlinge, vgl. Jacobs 2001, S. 116f.

 

Der Autor

Tino Jacobs, Jahrgang 1972. Studium der Geschichtswissenschaft, Politischen Wissenschaft und Journalistik in Trier und Hamburg. Arbeitet zurzeit an einem Dissertationsprojekt über den Reemtsma-Konzern.


Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Nr. 44

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