Thomas Al. Greifeld:
Verborgene Spuren jüdischen Eigentums

Im Düsseldorfer Stadtmuseum lief bis Ende Februar 1999 eine Ausstellung, die eine größere Menge auf den ersten Blick spröden Materials präsentierte. Gezeigt wurden Fotokopien aus Akten verschiedener Finanzbehörden sowie Gesetzestexte aus dem Zusammenhang der systematischen und ns-juristische legalisierten Ausgrenzung und Enteignung von politisch, sozial, religiös und rassisch verfolgten Menschen im Nationalsozialismus.

Faktisch allen verfolgten und ermordeten Menschen wurde damals im großen Stil, systematisch und gezielt ihr persönliches Eigentum – waren es nun Hausrat, Kulturgüter, Häuser und Grundstücke oder Firmen etc. – auf ns-gesetzlicher Grundlage geraubt. Die Opfer mußten zum großen Teil selbst ihr persönliches Eigentum und Wertgegenstände in langen Listen bis ins kleinste Detail aufführen, um diese dann dem NS-Staat abzugeben, oder ihr Hab und Gut wurde von den Sicherheits- und Finanzbehörden z.B. vor oder gleich nach der Verhaftung und/ oder Deportation – oft als "Umzug/Umsiedlung in den Osten" bezeichnet – beschlagnahmt.

Das gesamte eingezogene/geraubte Vermögen, privates bzw. betriebliches Eigentum wurde dann umstandslos durch die NS-Finanzbehörden an die deutschen und besonders an die ausgebombten "Volksgenossen" weiterveräußert. Wertvolles (Kultur-)Gut wurde aber auch umstandslos von öffentlichen Einrichtungen (z.B. Museen, Bibliotheken, Behörden) übernommen.

Da die deutsche Bürokratie ja als besonders akribisch bekannt ist, haben wir nun die Situation (um nicht von einem "Glücksfall" zu sprechen), daß zum großen Teil auch die Empfänger des den Verhafteten, Exilierten, Deportierten und Ermordeten geraubten Eigentums minutiös erfaßt sind.

Es ergibt sich das Bild, daß Hunderttausende von normalen Deutschen (wohlweislich?) nach nichts gefragt haben, sich nicht gewundert haben, daß "umziehende", "umgesiedelte" Menschen, Nachbarn, mit denen man z.T. seit Jahrzehnten auf der Etage, im Haus, in der Straße, im Stadtteil zusammengelebt und -gearbeitet hatte, bei ihrem "Auszug" ihr Eigentum nicht mitnahmen. Wußten die eifrigen oder gierigen Schnäppchenjäger wirklich nicht, wel-


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ches "Schicksal" die Deportierten zu erwarten hatten? Jedenfalls kann man heute davon ausgehen, daß es in deutschen Haushalten noch Gegenstände gibt, die aus solchen Verkäufen und Versteigerungen stammen – sicherlich vielfach ohne daß die Nachfahren der eigentlichen Erwerber noch eine Ahnung haben, woher diese Dinge stammen. Oder funktionierte hier das kollektive "Schweigekomplott" (Reemtsma) etwa nicht?

Die Ausstellung in Düsseldorf verursachte nun auch deshalb besondere Aufregung, weil wiederum einmal der Skandal zutage tritt, daß die entsprechenden Behörden – hier die Finanzministerien in Nordrhein-Westfalen und Hessen – erst im 54. Jahr nach Kriegsende und erst auf Druck von außen aktiv geworden sind, ihre Aktenbestände genauer zu untersuchen und – wie sollte es anders sein – natürlich im größeren Maße fündig wurden in bezug auf ein weiteres Kapitel nicht aufgearbeiteter NS-Geschichte

Der zweite Teil der Aufregung ist darin zu finden, daß der forschende Prof. Dr. Wolfgang Dreßen von der "Arbeitsstelle Nationalsozialismus" an der FH Düsseldorf die Namen in den Akten und für die Ausstellung nicht geschwärzt hat, wie das eigentlich bei sehr enger Auslegung der einschlägigen Gesetze hätte getan werden können. Das Bundesfinanzministerium wie auch das Finanzministerium in NRW hatten zuerst in sehr scharfer Form öffentlich reagiert und sogar von der zuständigen Ministerin in NRW disziplinarrechtliche Maßnahmen gegenüber dem Wissenschaftler gefordert.

Diese hat solche Ansinnen allerdings zurückgewiesen, wollte sie doch nicht dazu beitragen, daß Schutzgesetze ausgerechnet im Hinblick auf den Nationalsozialismus zum Täterschutz dienen könnten. Die "unterlassene" Schwärzung der Namen in den Akten führte inzwischen dazu, daß Nachkommen von Verfolgten und Ermordeten nun endlich in der Lage waren, ihre Ansprüche bezüglich "Entschädigung" und Restitution anzumelden.

Es müßten über diese aktuelle Problematik hinaus auf jeden Fall zu den gesetzlichen Regelungen zum Umgang mit Archivalien, die sich auf die Zeit vor 1945 beziehen, andere, neue Zu- und Umgangsmöglichkeiten eröffnet werden, die die starren Regelungen, die sich z.B. auf Persönlichkeitsschutzfristen beziehen, von der Bundesebene verändert werden. Ein Beschluß der Finanzministerkonferenz vom März 1999 geht auf diese Problematik mit der Aufforderung des flexibleren und offensiveren Vorgehens mit diesen Aktenbeständen ein.

Im November 1998 wurde in dieser Angelegenheit eine detaillierte Anfrage – mit dem Hinweis auf die Ausstellung die Aktivitäten in NRW und – an das schleswig-holsteinischen Finanzministerium gerichtet. Es ging um den Kenntnisstand zu dem Sachverhalt und die Existenz solcher Akten im Lande bzw. die Bereitschaft, sich dieser Angelegenheit auch in Schleswig-Holstein anzunehmen und eine Recherche zu diesen Aktenbeständen zu starten.

Nach einiger Verzögerung wurde im Ministerium dann eine offensive Herangehensweise beschlossen und ein Suchauftrag seitens des Ministers formuliert. Die Recherche ist bislang noch nicht abgeschlossen; es gibt aber Hinweise auf einschlägige Aktenbestände, und


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eine intensivere Forschung soll in die Wege geleitet werden. Es zeigte sich jedenfalls, daß in den einschlägigen Institutionen kaum oder gar kein Problembewußtsein und Kenntnisstand in Bezug auf die vor 1945 datierenden Aktenbestände vorhanden war und erst auf Anstoß von außen dann bereitwillig die Recherchen vorangetrieben wurden.

Zur Ergänzung muß noch hinzugefügt werden, daß zwei Lübecker Landtagsabgeordnete der SPD nun plötzlich – wohl auf Initiative des Lübecker SPD-Kreisverbandes – eine kleine Anfrage an die Landesregierung eingebracht haben, die in ihren Formulierungen eher von einem nicht vorhandenen Kenntnisstand zu dem seit November 1998 laufenden Verfahren und den Recherchen zeugt. Lübecker EinwohnerInnen sind in der sog. "Holland-Aktion" besondere Nutznießer der Enteignungen und Verschleuderung des fremden Eigentums gewesen.

Die Recherchen werden jedenfalls intensiviert und mit einschlägig kompetenter Kenntnis weitergehen; die Arbeitsergebnisse sollten veröffentlicht werden. Die Düsseldorfer Ausstellung wird – so die Initiative der Initiatoren – in naher Zukunft auch im Finanzministerium in Kiel gezeigt werden.


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 36 (1999) S. 100-102.


Der Verfasser: Thomas Al. Greifeld (1947-2000). Studium der Sozialpädagogik, Sozialwissenschaft, Kunstgeschichte und Volkskunde in Essen, Bochum, Kiel. Forschungen und biografische Rekonstruktionsprojekte in der Kultur- und Kunstgeschichte, z.B.: Peter Foerster 1887-1948 – Ein Maler der neuen Sachlichkeit (1998/99). Mitherausgeber des Bandes KuNSt ohne Museum in Schleswig-Holstein (Heide 1993).


Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 36

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