Ralf Mertens

"... eine neue Machtposition für die Bewegung zu schaffen"

Preetz im Nationalsozialismus

1. Die Preetzer Stadtgeschichte: Quellen- und Forschungslage

Als die idyllische Stadt Preetz - Luftkurort und Schusterstadt - 1995 ihr 125jähriges Stadtjubiläum feierte, nahm die Zeit des Nationalsozialismus in dem ausgiebigen Jubiläumsprogramm nur wenig Raum ein. Zwar waren seitens der Stadt Schritte unternommen worden, dieses Thema nicht zu marginalisieren oder gar in Vergessenheit geraten zu lassen, dennoch mangelt es nach wie vor an einer umfassenden Studie bzw. Dokumentation über die Stadt Preetz während der NS-Diktatur. Mittlerweile gibt es drei Arbeiten, die sich mit Teilbereichen der Preetzer Stadtgeschichte während der NS-Zeit beschäftigen. Weitere Einzelaspekte sind jedoch noch nicht ausreichend untersucht worden. [1] Der folgende Beitrag soll helfen, Unbekanntes und Bekanntes zu verknüpfen, um so weitere Lücken in der Preetzer Stadtgeschichte schließen zu können.

Auf den ersten Blick läßt es sich in Preetz gut vermeiden, der dunklen NS-Vergangenheit ins Gesicht zu sehen. Schließlich wird man auf der Suche nach dem Gedächtnis der Stadt vor Ort kaum fündig: Fast alle Akten und relevanten Schriftstücke aus dem Rathaus, die aus den Jahren 1933 bis 1945 datierten, sind bei Kriegsende systematisch verbrannt worden. [2] Doch nicht alle lokalgeschichtlichen Quellen sind der gründlichen "Entsorgung" zum Opfer gefallen. So ist z. B. die 1828 gegründete Preetzer Zeitung eine unschätzbare Informationsquelle aus dieser Zeit. Ferner haben auch Zeitzeugen, Historiker und historisch Interessierte wertvolle Hinweise geben können, denen hiermit gedankt werden soll.

2. 1930-33: Propaganda und Polarisierung

Mit 5.291 Einwohnern im Jahre 1930 war Preetz die größte Stadt im Kreis Plön. [3] Zu jener Zeit gab es eine Volksschule, eine Mittelschule, eine Landwirtschaftsschule und eine gewerbliche Berufsschule. Ferner waren bereits zentrale Institutionen wie z. B. das Predigerseminar oder das Städtische Krankenhaus hier angesiedelt. Ein nicht geringer Teil der Bevölkerung ging dem Broterwerb auf den Werften des Kieler Ostufers nach. Das Kieler Arbeitsamt unterhielt in Preetz zeitweilig eine Außenstelle.

Bei Wahlen bekamen regelmäßig die linken Parteien eine sichere Stimmenmehrheit - die Stadt galt als "rot". Obwohl bei der Reichstagswahl am 14. Oktober 1930 die NSDAP auch in Preetz zweitstärkste Partei wurde, erlitten die örtlichen Sozialdemokraten kaum spürbare Stimmenverluste; die Kommunisten konnten ihre Wähleranzahl gar verdoppeln. Der Wahlerfolg der NSDAP ging zu Lasten von DNVP, DVP und örtlicher Wirtschaftspartei. [4]

Seit dem 28. Januar 1930 waren die Preetzer Nationalsozialisten in einer Ortsgruppe organisiert, der zunächst 40 Personen aus Stadt und Umgebung beitraten. [5] Laut eines Berichtes der Schleswig-Holsteinischen Tageszeitung wuchs die junge Ortsgruppe schnell an. Nach einer Veranstaltung am 16. Februar 1930 traten 22 Personen in die NSDAP ein. [6] Der Kieler Student Karl Schalow, ein rednerisch begabter und forsch auftretender junger Mann, übernahm im Frühjahr 1930 die Leitung der Ortsgruppe. Schon wenige Wochen später siedelte Schalow nach Preetz über, wo er im Haus des praktischen Arztes Dr. Genzken ein Zimmer fand. [7] Da das Ehepaar Genzken zu dem frühen Kern der Preetzer Nationalsozialisten zählte [8], erfuhr Schalow bei seinen neuen Vermietern Hilfe und Rückendeckung. Noch im gleichen Jahr - gerade 23 Jahre jung - wurde er Kreisleiter. [9]

Daß es in den Monaten vor der Reichstagswahl im September 1930 bereits vereinzelt zu Unruhen bei NSDAP-Versammlungen gekommen war und diese nach der Wahl noch zunahmen, ist ein Indiz für die in Preetz überaus starke Polarisierung zwischen den politischen Lagern. Zu einer äußerst gewalttätigen Eskalation kam es am 25. November 1930 bei einer Veranstaltung der NSDAP im "Deutschen Haus", wo Gauleiter Lohse als Redner auftrat. Nachdem der sozialdemokratische Gegenredner Langebeck geendet hatte und der Kommunist Schmidt zu Wort kommen sollte, brach eine Schlägerei los und verwandelte den Saal in wenigen Minuten zu einem "wüsten Trümmerhaufen". [10] Über 25 Personen wurden verletzt und mußten von Sanitätern behandelt werden. Auch die Staatsanwaltschaft beschäftigte sich mit den Vorkommnissen und reiste nach Preetz, um hier Ermittlungen aufzunehmen. [11] Mehrere Personen wurden in Zusammenhang mit dieser ungewöhnlich heftigen Auseinandersetzung verhaftet. In neun Fällen verhängte man später gar Gefängnisstrafen. [12] Einige Tage später wurden zehn Anhänger der NSDAP in Preetz festgenommen, da sie geladene Schußwaffen mit sich führten und einen bewaffneten Haufen bildeten. [13] Die brutale Saalschlacht zeigte überdeutlich, wie sehr sich die Fronten verhärtet hatten. Kreisleiter Schalow hat durch sein Auftreten diese Polarisierung und Radikalisierung erheblich angeheizt. Dies ist vermutlich der Grund, warum Versammlungen, bei denen er sprechen sollte, vorbeugend vom Regierungspräsidenten in Schleswig verboten wurden. [14] Trotz des zeitweiligen Redeverbotes ihres Ortsgruppenführers konnte die Preetzer NSDAP ihren Einfluß stetig vergrößern. Nachdem die Ortsgruppe straff organisiert war, trieb Schalow die Gründung von weiteren NSDAP-Ortsgruppen im Kreis Plön voran. [15]

Bei der Reichspräsidentenwahl am 10. April 1932 hatte sich in Preetz das Blatt gewendet. Mit 47% der für Hitler abgegebenen Stimmen lag die Stadt weit über dem Reichsdurchschnitt von 36% [16]. Bei Land- und Reichstagswahlen im Jahr 1932 erzielte die SPD in Preetz immer noch eine beachtliche, über dem Reichsdurchschnitt liegende Anzahl von Stimmen; ein immer größer werdender Teil in der Bevölkerung wählte jedoch die NSDAP. [17] Im Vergleich zur Kreisstadt Plön beispielsweise fanden in Preetz Übergriffe und Schlägereien zwischen den politischen Lagern nicht nur häufiger statt, sondern sie verliefen auch wesentlich heftiger. [18]

Die offenkundige Sympathie, die die Preetzer Zeitung schon früh für den Nationalsozialismus hegte, erleichterte es den Preetzer Nazis, für sich zu werben und ihre Gegner öffentlich zu attackieren. Schon in ihrer Anfangszeit konnte die NSDAP-Ortsgruppe eigene Artikel und Berichte veröffentlichen. Treffpunkt für Versammlungen der Nationalsozialisten und ihrer verschiedenen Organisationen waren vor allem das "Deutsche Haus" in der Kirchenstraße und "Drillers Gasthof". Hier traf sich auch die von Frau Genzken geleitete NS-Frauenschaft. [19]

Die Radikalisierung innerhalb bestimmter Teile der Preetzer Bevölkerung verschlimmerte sich auch durch die wachsende Arbeitslosigkeit. Am 1. Februar 1933 erhielten immerhin 50,8% der Preetzer Bürger öffentliche Geldhilfen. [20]

3. "... dank seines unbeirrbaren Glaubens an Führer und Bewegung...": Der Machtwechsel im Rathaus

Als eine Woche nach den Reichs- und Landtagswahlen am 5. März 1933 neue Stadtverordnete gewählt wurden, zeigte sich die politische Kräfteverschiebung zugunsten der Nazis auch im Rathaus: Eine Liste aus bürgerlichen Parteien und der NSDAP erhielt sieben, die SPD nur noch fünf Mandate. Damit war nicht nur der lange, traditionell sozialdemokratische Einfluß im Preetzer Rathaus gebrochen, sondern auch der Auftakt für die nationalsozialistische Gewaltherrschaft in Preetz gemacht. Die drei sozialdemokratischen Stadträte Peters, Brodthagen und Trepkau wurden von der NSDAP abgesetzt, da sie sich weigerten, ihren Dienst zu verrichten, solange auf dem Rathaus die Hakenkreuzfahne wehte. [21] Ende Mai 1933 löste sich die Preetzer SPD schließlich selbst auf, um dem Verbot durch die NSDAP zuvorzukommen. [22]

In den nächsten Monaten betrieben die Nazis systematisch den Ausbau ihrer Macht. Als sich Kreisleiter Schalow, mittlerweile nationalsozialistischer Kreistagsabgeordnete und Preetzer Stadtrat, am 8. Januar 1934 zum Bürgermeister "wählen" ließ, war die NS-Herrschaft in der Stadt vollends etabliert. Die Preetzer Zeitung berichtete über die Amtseinführung und zitierte dabei den Beigeordneten Uebel, der im Namen der Stadt die herzlichsten Glückwünsche überbrachte: "Ihm [Schalow] wurde die Aufgabe, den Kreis Plön und vor allem das rote Preetz vom Marxismus zu befreien und eine neue Machtposition für die Bewegung zu schaffen, [zuteil]. Das ihm gesetzte Ziel hat Bürgermeister Schalow dank seines unbeirrbaren Glaubens an Führer und Bewegung voll und ganz erreicht. [...] Darum habe auch kein anderer als unser Bürgermeister Schalow ein Anrecht auf den Posten als Oberhaupt unserer Stadt." [23]

Schalow mußte aber zum 31. März 1937 diese Funktion aufgeben, um sich besser seinen Aufgaben als Kreisleiter widmen zu können. [24] Daß er auch vor brutaler Gewalt nicht zurückschreckte, zeigte sein Entnazifizierungsverfahren. Hier wurde festgestellt, daß er während seiner Amtszeit als Kreisleiter "einen unglaublichen Roheitsakt gegen einen Lehrer" verübt hatte, so die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung, die über das Verfahren berichtete: "Von dem Lehrer wurde behauptet, er betreibe politische Propaganda gegen den Staat. Als der Gau in dieser Angelegenheit nichts unternahm, wollte Schalow, wie er in der Verhandlung wörtlich sagte, 'einmal ein Exempel statuieren und dem Lehrer einen Denkzettel verabreichen.'" In Begleitung von zwei Parteigenossen habe Schalow dann das Klassenzimmer betreten und den Lehrer mit einer Reitpeitsche verprügelt, während seine Helfer den Mann festhielten und die Kinder schreiend durch die Fenster entflohen. Der Lehrer habe damals Anzeige gegen Schalow erstattet - mit dem Erfolg, daß er selbst aus dem Schuldienst entlassen wurde. [25]

Dieses Beispiel läßt den Einfluß ermessen, den Schalow in seiner Funktion als Kreisleiter hatte. Offensichtlich waren seiner Machtstellung kaum Grenzen gesetzt. 1940 hat er sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet, sein Nachfolger wurde Kreisleiter Jüppner. [26]

Wie die Ausgrenzung und Verfolgung der Juden im Kreis Plön genau verlief, ist bisher noch nicht beantwortet worden. Die einzige in Preetz lebende Jüdin Ella Hirsch überstand das "Dritte Reich" physisch unversehrt. Seit 1919 arbeitete sie in der Getreidefirma Brumm zunächst als Buchhalterin, dann als Prokuristin. Vor allem der Zivilcourage des Firmeninhabers Otto Brumm ist es zu verdanken, daß Ella Hirsch bleiben konnte - trotz Diskriminierungen und wirtschaftlicher Nachteile für die Firma. Vier Versuche, Ella Hirsch zu deportieren, konnten durch Mithilfe Preetzer Bürger rechtzeitig vereitelt werden. Nach dem Krieg heirateten Ella Hirsch und Otto Brumm. [27]

Nicht selten machte sich die Lokalzeitung zum Sprachrohr für die NS-Ideologie und trug entsprechende Inhalte in die Haushalte. So berichtete sie in der Regel ausführlich über die verschiedenen Veranstaltungen, bei denen der Antisemitismus zum Thema gemacht wurde oder bei denen die NSDAP-Mitglieder "geschult" wurden. Nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 zitierte die Preetzer Zeitung Kreisleiter Schalow mit den vieldeutigen Worten, daß die "Judenfrage mehr und mehr akut" werden würde. [28]

Als das Blatt den Film "Juden ohne Maske" ankündigt, der in Preetz gezeigt werden sollte, erfuhren die Leser, daß dieser Film wie kein zweites Argument geeignet wäre, "das Wirken der asiatischen Schmierfinken und Verbrecher in das richtige Licht zu setzen. Der ganze Sumpf des jüdischen Trieb- und Geisteslebens kommt durch die jämmerlichen Szenen zum Bewußtsein." [29]

Als ein besonders schlimmer Antisemit stellte sich der Plöner Professor Dr. Remane dar, etwa als er in "Drillers Gasthof" über den "Juden als Weltparasiten" referierte und die Juden als einen Stamm bezeichnete, der die Arbeit als Fluch ansehe und innerlich feig sei. Dr. Hinck, Leiter der Landwirtschaftsschule und Preetzer Ortsgruppenleiter, dankte ihm für den "interessanten Vortrag" [30], so die Preetzer Zeitung abschließend.

4. Biographische Stationen in Preetz: Nikolaus Maaßen und Karl Genzken

Als ein ebenso linientreuer und überzeugter Nationalsozialist trat der Preetzer Mittelschulrektor Nikolaus Maaßen auf. [31] Seine Aufgabe sah er darin, "das nationalsozialistische Gedankengut in der Mittelschulerziehung praktisch zu verwirklichen". [32] Für Maaßen bedeutete dies, wo immer er konnte, den Nationalsozialismus in die Schule hineinzutragen und zu fördern.

Der in Dithmarschen geborene Maaßen beschränkte sich dabei jedoch nicht nur auf die Preetzer Mittelschule; sein Wirken ging weit über die Stadtgrenzen hinaus. Maaßen kam im Oktober 1914 nach Preetz und wurde 1920 Rektor der Mittelschule. Zunächst engagierte er sich für den Turnsport, dessen Verband er von 1921 bis 1932 als "Gauvertreter" vorstand. Sein eigentliches Wirkungsfeld war jedoch die NS-Schulpolitik. Maaßen setzte sich dafür ein, daß die Mittelschule als eigenständige Schulform besonders gefördert wurde. Dabei stand für ihn die Durchdringung des Schulwesens mit der nationalsozialistischen Ideologie im Vordergrund. Bildungswahn, so Maaßen, sei der Volkstod. Folglich sei die Zurückbildung des "ausgeweiteten höheren Schulwesens eine eugenisch-biologische Notwendigkeit". [33]Immer wieder begründete er die Bedeutung der Mittelschule für die sog. Volksgemeinschaft und trat für eine in jeder Hinsicht rassistisch ausgerichtete Pädagogik ein, die die "Erbgesundheit" in den Mittelpunkt rückte.

Als Verfasser mehrerer schulpolitischer Publikationen hatte sich der Preetzer Mittelschulrektor auch im NS-Lehrerbund einen Namen gemacht - und sein Engagement zahlte sich für ihn aus: Im Juli 1934 wurde Maaßen Reichsfachschaftsleiter für Mittelschulen. [34] Auch weiterhin publizierte Maaßen seine nationalsozialistische Überzeugung. In seinem 1935 erschienenen Buch "Planvolle Schulgestaltung - Beiträge zur Frage des Schulnetzes in der völkischen Schulreform" wies er eindringlich auf die Bedeutung der ländlichen Mittelschulen hin. Seine Argumentation fußte dabei u.a. auf dem angeblich schlechten und verderbbringenden Einfluß der Großstadt: "Die tiefste Ursache des völkischen Niedergangs liegt darin, daß wir uns von den Urkräften der Natur und den Grundgesetzen der völkischen Lebensordnung entfernt haben [...]. Auf dem schulorganisatorischen Gebiet fehlt noch der entsprechende Rasseerlaß, der den Schulaufbau planvoll so ordnet, daß er nicht nur von den rassezerstörenden Auswirkungen befreit, sondern voll inden Dienst der Rasse gestellt wird und so die Sicherung der Erbkraft und damit des Lebens und der Zukunft unseres Volkes voll verbürgt." [35]

Maaßen, der sich im "Dritten Reich" auch als Herausgeber von Schulbüchern hervortat, ebnete der menschenverachtenden NS-Ideologie den Weg in die Mittelschulen. Mit seiner tiefen Führerverehrung und seiner bedingungslosen Unterstützung des NS-Regimes - beides zieht sich wie ein roter Faden durch seine Veröffentlichungen - stellte der Pädagoge sich ganz in den Dienst der faschistischen Schulpolitik.

Nachdem Maaßen 16 Jahre in Preetz gearbeitet hatte, wechselte er im Oktober 1936 nach Frankfurt, wo er fortan die Position eines Magistratschulrates bekleidete und damit die Aufsicht über die Privat- und Mittelschulen führte. Auch weiterhin schwur er unermüdlich seine "Berufskameraden" auf den nationalsozialistischen Kurs ein. 1942 bezeichnete der Pädagoge Maaßen die Schule als "eine bedeutsame geistige und seelische Waffenschmiede". [36] Auch wenn Maaßen, wie er in einer autobiographischen Schrift behauptete, immer nur für die Mittelschule und deren Erhalt bzw. Stärkung kämpfte, so hat er dennoch an exponierter Stellung das NS-Regime unterstützt und Lehrerkollegen und Schüler hierfür instrumentalisiert.

Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur blieb Maaßen in Frankfurt. Zwar von seinen Ämtern enthoben, genoß er dennoch viel Zuspruch und Anerkennung. Trotz seines langjährigen Dienstes für das NS-Regime fungierte er als Ehrenvorsitzender des Verbandes deutscher Real- und Mittelschullehrer. [37] Allem Anschein nach nahm niemand Anstoß daran, daß Maaßen einst die Schule für den Nationalsozialismus öffnete und den damaligen Lehrerstand zu unbedingter Regimetreue verpflichtete. [38]

Während Maaßen weiterhin in der Öffentlichkeit agieren und publizieren konnte, mußte sich ein anderer ehemaliger Preetzer Bürger auf der Anklagebank in Nürnberg verantworten: Dr. med. Karl Genzken. Der in Preetz geborene und aufgewachsene Genzken, dessen Vater in der Stadt Pastor war, arbeitete nach seinem Medizinstudium als Arzt in der kaiserlichen Marine. [39] Von 1919 bis 1934 war er als praktischer Arzt in Preetz tätig. 1926 trat er der NSDAP bei. Mittlerweile auch Mitglied der SS, fungierte Genzken von 1933 bis 1934 als Kreisamtsleiter des NS-Ärztebundes. 1934 begann er dann im NS-Staat eine steile Karriere. Mit seiner Familie verließ er Preetz und zog nach Berlin.

Am 1. Februar 1937 wurde der mittlerweile dreifache Familienvater Genzken Führer der Sanitätsabteilung der SS-Totenkopfverbände. Nun erfolgte unter seiner Leitung der Aufbau des Sanitätswesens der Konzentrationslager. Als er am 1. April 1940 zum Chef des Sanitätsamtes im SS-Führungshauptamt aufstieg, war er für das Sanitätswesen der Konzentrationslager zuständig, überwachte das Sanitätspersonal und machte Inspektionsbesuche in den ihm unterstellten Lagern. In dieser Funktion hatte er auch Befehlsgewalt über die dort tätigen Ärzte, wie z.B. Herta Oberheuser in Ravensbrück.

Am 30. Januar 1943 beförderte ihn Hitler zum SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen SS. Im Nürnberger Ärzteprozeß wies man Genzken nach, daß er z.B. Kenntnis von dem Ausmaß der Fleckfieber-Versuche an KZ-Häftlingen in Buchenwald gehabt haben mußte. Dennoch hatte er als Mitverantwortlicher nichts unternommen, um diesem grausamen Treiben Einhalt zu gebieten. Wenngleich er bei den Vernehmungen seine Unwissenheit beteuerte, scheint dies sehr unglaubwürdig. Die jüngste Forschung auf diesem Gebiet hat gezeigt, daß Genzken sich regelmäßig detaillierte Berichte vorlegen ließ. [40]

Schließlich verurteilten die Nürnberger Richter den ehemaligen Preetzer Arzt wegen Kriegsverbrechen im engeren Sinne, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Organisationsverbrechen, d.h. wegen Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation, zu lebenslänglicher Haft. Später wurde Genzken dann begnadigt und im April 1954 aus der Haft entlassen [41] - drei Jahre später ist er verstorben. [42]

5. Die Nachkriegszeit: Bilanz und Perspektive

Der von den Nationalsozialisten entfesselte Zweite Weltkrieg kostete ca. 700 Preetzer Bürgern das Leben. [43] Ungeachtet dieser traurigen Bilanz und der zwölfjährigen Diktatur, die auch in Preetz ihre Spuren hinterließ, bemühte die Preetzer Zeitung eine fragwürdige Kontinuität. Am 1. November 1949 konnte das Blatt nach viereinhalbjähriger Pause wieder erscheinen. Die Redaktion begrüßte die Leser mit den Worten: "Möge unsere seit 121 Jahren bestehende Heimatzeitung wiederum das werden, was sie immer war: Ein kurzes übersichtliches Echo des Weltgeschehens, ein Spiegel der lokalen Ereignisse, ein Kraftquell der Heimatliebe, eine Brücke von Mensch zu Mensch. [...] Wir danken all denen, die ihre Treue zur Heimatzeitung bewahrten und bitten die neu hinzukommenden Leser um ihr Vertrauen." [44]

Zu den neu hinzugekommenen Preetzern gehörten auch die vielen Flüchtlinge, unter ihnen der hierher geflüchtete Maschinenfabrikant Epp. Seine Vergangenheit führte zum KZ Stutthof, wo er eines der größten Häftlingskommandos beschäftigte. Hier produzierten KZ-Häftlinge in seiner Fabrik Munition. Um dem Vorrücken der Roten Armee zu entkommen, setzte sich Epp bei Kriegsende nach Schleswig-Holstein ab. [45] Eher zufällig geriet er nach Preetz, wo er Ende der fünfziger Jahre verstarb. [46]

Abschließend läßt sich feststellen, daß in Preetz vor allem das bürgerliche Establishment den Nationalsozialismus "einführte". Es waren zunächst die wenigen Akademiker am Orte, die die NS-Ideologie publik machten und nach außen vertraten. Ihr öffentliches Eintreten für die NS-Ideologie fand schnell Anhänger. Auf dieser Grundlage konnten die lokalen Organisationsstrukturen des NS-Staates in Preetz ausgebaut werden. Vor allem biographische Untersuchungen könnten die regionalgeschichtliche Forschung an dieser Stelle vervollständigen. Schließlich haben Personen wie Schalow, Genzken oder Maaßen entscheidende Jahre ihres Lebens in dieser Stadt verbracht.

Daß Preetz bisher noch keine umfassende Stadtgeschichte kennt, in der vor allem die jüngere Vergangenheit thematisiert wird, mag auch an der in der Bevölkerung häufig anzutreffenden Denkweise begründet sein, hier sei nichts Auffälliges, nichts Spektakuläres passiert. Diese vermeintliche Unauffälligkeit birgt jedoch zugleich die Gefahr der Verharmlosung und des Vergessens. Um so positiver ist es, daß unlängst nicht nur eine Straße nach der Jüdin Ella Brumm benannt wurde, sondern auch an einer Stadtgeschichte gearbeitet wird, die die Zeit von 1933 bis 1945 zum Gegenstand hat. [47]

6. Anmerkungen

1. Beate Klonikowski, "Die Anfänge des Nationalsozialismus in Preetz", Unveröffentlichte Staatsexamensarbeit, Kiel 1992; Peter Pauselius, Dokumentation über die Kriegsgefangenen, Fremd- und Ostarbeiter in Preetz 1939 - 1946, Großbarkau 1996; Ralf Mertens: "Das Eisenkreuz fest umklammert" - Pastor Kobold und der Kirchenkampf in Preetz. In: Schleswig-Holsteinsiche Landeszeitung 23.5.1998.

2. "Unterlagen nach Kriegsende verschwunden", Ostholsteiner Zeitung 28.1.1995.

3. Gemeindelexikon für den Freistaat Preußen, Bd. IX: Provinz Schleswig-Holstein, Stand: 1. Oktober 1930, Berlin, Preußisches Statistisches Landesamt, S. 32.

4. Preetzer Zeitung (im folgenden PZ), 15.9.1930.

5. Klonikowski, S.6.

6. Schleswig-Holsteinische Tageszeitung, 16.2.1930.

7. Berlin Document Center (im folgenden BDC), Akte Schalow.

8. Dr. Genzken trat 1926 in die NSDAP ein, seine Frau war ebenfalls Parteigenossin. BDC, Akte Karl Genzken.

9. Klonikowski, S. 33.

10. PZ 26.11.1930.

11. Ebd.

12. Klonikowski, S. 26.

13. PZ 28.11.1930.

14. BDC, Akte Schalow.

15. Mündliche Auskunft, Schalow, 8.1.1993.

16. PZ 11.4.1932.

17. So z.B. bei der Landtagswahl am 24.4.1932, den Reichstagswahlen am 31.7.1932 und 7.11.1932. Dazu: PZ 25.4.1932; PZ 1.8.1932; PZ 7.11.1932.

18. Friedrich Stender/Hans-Joachim Freytag, Geschichte der Stadt Plön, Plön 1986, S. 264.

19. Frau Genzken leitete die Ortsgruppe ab Mai 1934. Dazu PZ 17.5.1934.

20. Wilhelm Stölting, Preetz - Lebensbild einer holsteinischen Stadt, Preetz 1970, S. 77.

21. PZ 15.3.1933.

22. Jürgen Michalski, Ursprung einer Entwicklung: Geschichten aus der Geschichte um die Kiel-Plöner Sozialdemokraten, Preetz 1979, S. 83.

23. PZ 9.1.1934.

24. Stölting, S. 78.

25. Schleswig-Holsteinische Volkszeitung 26.4.1949.

26. Mündliche Auskunft, Schalow, 8.1.1993.

27. Der Reporter 9.7.1997.

28. PZ 22.11.1938.

29. PZ 21.11.1938.

30. PZ 7.2.1944.

31. Maaßen trat am 1.5.1933 in die NSDAP ein. BDC, Akte Maaßen.

32. Nikolaus Maaßen, Fachschaft III, in: Zehn Jahre NSLB, München 1939, S. 44.

33. Nikolaus Maaßen, Der neue Schulaufbau mit besonderer Berücksichtigung des Mittelbaues, Halle 1934, S. 16.

34. Dazu auch Willi Fenten, Der nationalsozialistische Lehrerbund: Entwicklung und Organisation, Weinheim etc. 1981.

35. Nikolaus Maaßen, Planvolle Schulgestaltung - Beiträge zur Frage des Schulnetzes in der völkischen Schulreform, Halle 1935, S. 4.

36. Nikolaus Maaßen, 1942 - das eiserne Jahr in unserem Ringen auf Leben und Tod!, in: Die Mittelschule, Halle, 14.1.1942. S. 2.

37. Nikolaus Maaßen 75 Jahre alt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 4.9.1963.

38. Dazu auch Wolfgang Keim, Reichspogromnacht und (bundes-)deutsche Erziehungswissenschaft, in: Pädagogik, Heft 10/Oktober 1988, S. 35ff.

39. Biographische Angaben sind entnommen aus: BDC, Akte Karl Genzken; Staatsarchiv Nürnberg, Ärzteprozeß, KV-Prozesse Fall 1 ZA-1, Urteilsbegründung Genzken.

40. Johannes Tuchel, Konzentrationslager: Organisationsgeschichte und Funktion der "Inspektion der Konzentrationslager", Boppard 1991, S. 285.

41. Thomas Alan Schwartz, "Die Begnadigung deutscher Kriegsverbrecher", in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 38, 1990, S. 406.

42. Antwortschreiben Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltung Ludwigsburg, 19.5.1995.

43. Reinhold Kuleisa/Peter Pauselius, Preetz, Plön 21987, S. 16.

44. PZ 1.11.1949.

45. Antwortschreiben "Muzeum-Stutthof", W Sztutowie, 22.8.1995.

46. Dazu auch: Hans J. Schneider, Die Kleinbahn hält noch immer im Stutthof "Waldlager", in: Frankfurter Rundschau, 6. Februar 1993.

47. Der Stadtarchivar Pauselius arbeitet zur Zeit an einer umfassenden Darstellung über die Stadt Preetz in den Jahren 1939 - 1945.

Im Original enthält der Beitrag vier Abbildungen.


Der Autor: Ralf Mertens, Jahrgang 1967, studierte in Kiel und Berlin Geschichte und Englisch. 1996 Erstes Staats- und Magisterexamen, seit 1997 Studienreferendar. Er arbeitet über regionalgeschichtliche Aspekte im Nationalsozialismus und in der Weimarer Republik sowie über Exilpublizistik.


Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 33/34

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