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Frauen in Konzentrationslagern

Die von der Bremer 'Edition Temmen' veröffentlichten Forschungsergebnisse zu nationalsozialistischen Themen mit Schwerpunkt Norddeutschland sind beachtlich. Ein vor drei Jahren erschienener Sammelband über die Lebensbedingungen von Frauen in NS-Konzentrationslagern stellt Ergebnisse eines Studienprojekts am Historischen Seminar der Universität Hannover vor. 25 Autorinnen und Autoren lassen auf insgesamt 347 Seiten ein komplexes Bild des Alltags im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück sowie der Frauenlager im KZ Bergen-Belsen entstehen.

Die Befreiung der Häftlinge durch die alliierten Truppen liegt inzwischen über fünfzig Jahre zurück. Innerhalb dieses halben Jahrhunderts hat sich die zeitgeschichtliche Forschung immer wieder mit der Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager auseinandergesetzt. Auch die vorliegende Publikation erinnert noch einmal daran, daß seit Kriegsende eine Fülle wissenschaftlicher Literatur über die Geschichte von Konzentrationslagern, über Lebens- und Arbeitsbedingungen der Häftlinge, über das unmenschliche Vernichtungssystem entstanden ist. Die Erfahrungen von Frauen in den Lagern wurden denen ihrer männlichen Leidensgefährten jedoch im wesentlichen gleichgesetzt.

Erst seit dem Ende der 70er Jahre wandte sich auch die Frauenforschung verstärkt dem Thema Frauen im Nationalsozialismus zu. "Ausgehend von der Kritik am nationalsozialistischen Frauenbild erschienen in diesen Arbeiten nicht selten alle Frauen gleichermaßen als Opfer einer männerdominierten Geschlechterpolitik". So formuliert es der einleitende Exkurs im vorliegenden Sammelband (S. 8). Einhergehend mit der Weiterentwicklung der zeitgeschichtlichen Forschung entstanden in den folgenden Jahren differenzierte Studien, das politische und soziale Handeln von Frauen in der Weimarer Zeit und im Nationalsozialismus betreffend. Frauen handelten, waren verantwortlich. Täterinnen und Mittäterinnen, z.B. innerhalb von NS-Organisationen, wurde ebenso Aufmerksamkeit zuteil wie einer postulierten Mitverantwortung durch das "unpolitische" Funktionieren als Hausfrau und Mutter innerhalb des NS-Systems.

Als Grund für einen Mangel an wissenschaftlichen Untersuchungen zum Schicksal NS-verfolgter Frauen vermuten die Herausgeberinnen und der Herausgeber nicht nur die Verdrängung weiblicher Verantwortung im Nationalsozialismus, sondern auch die Ausblendung sogenannter Minderheiten. Weiterhin wird auf eine festgestellte "Diskrepanz" zwischen der mangelnden wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte von Frauen im KZ und dem Bedürfnis ehemals internierter Frauen, über ihre Erfahrungen zu berichten, verwiesen. Diese hätten in zahlreichen autobiografischen Publikationen im In- und Ausland ihren Niederschlag gefunden.

Eine große Zahl dieser internationalen Publikationen und Häftlingsberichte wurde - neben den noch vorhandenen NS-Dokumenten in Archiven und Gedenkstätten - für diesen Sammelband ausgewertet. Ergänzt wurde das Material


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durch eigene aktuelle Interviews mit noch lebenden Zeitzeuginnen. Während beim zentralen Frauenkonzentrationslager Ravensbrück die gesamte Lagergeschichte von 1939 bis 1945 Berücksichtigung fand, konzentrierte sich die Bergen-Belsen-Forschung auf die Endphase des Lagers und auf diejenigen Lagerteile, die ab August 1944 zum Evakuierungsziel zahlloser Frauentransporte aus anderen Konzentrationslagern wurden: das Zeltlager und das "Kleine" und "Große" Frauenlager. Im "Inferno der letzten Monate" wurde durch zunehmende Überfüllung und Massensterben aus dem "Aufenthaltslager" Bergen-Belsen ein "Konzentrationslager". (Von Februar bis 15. April 1945 starben allein rund 34.000 Menschen; vgl. S. 248). Der außergewöhnlich hohe Frauenanteil, der bis 1945 auf ca. zwei Drittel der Lagerinsassen anstieg, veranlaßte die Arbeitsgruppe zu vergleichenden Untersuchungen mit der Endphase von Ravensbrück.

Gefragt wurde immer wieder nach frauenspezifischen Ausprägungen und Erlebensweisen der KZ-Haft. Frauenspezifische Überlebensstrategien standen ebenso im Blickpunkt wie die Frage, ob Frauen auf Grund ihres Geschlechts in besonderer Weise gedemütigt und erniedrigt wurden.

Die (umfangreich bebilderte) Dokumentation der Untersuchungsergebnisse, bestehend aus 29 Einzelaufsätzen, gliedert sich in vier Abschnitte: Einem kurzen Abriß der Geschichte der Frauenlager in Ravensbrück und Bergen-Belsen folgt eine ausführliche Darstellung des Lager-Alltags. "Lebens"-Bedin-gungen, Arbeitseinsatz, Häftlingshierarchie und Gruppenbildung sind ebenso Thema der Aufsätze wie Schwangerschaft, Geburt und Kinder im KZ, Menschenversuche, Prostitution und sexuelle Gewalt.

Die sexuelle Gewalt, die bereits in perfiden, mehrfach beschriebenen Initiationsritualen zum Ausdruck kam, setzte sich im Lagerleben fort. Die Rekrutierung von Frauen für Bordelle der SS, der Wehrmacht, aber auch für männliche KZ-Häftlinge, die mit einem Bordellbesuch für besondere Arbeitsleistungen "belohnt" wurden, gehört für die Arbeitsgruppe zu den "infamsten Beispielen nationalsozialistischer Doppelmoral" (S. 11, S. 123ff.). Prostitution war offiziell verboten und wurde mit KZ-Haft geahndet, die hier verordnete "Rassenschande" sonst mit dem Tode bestraft.

Die Arbeit im KZ Ravensbrück, mit einigen Einschränkungen auch in Bergen-Belsen, war neben Krankheiten, Mißhandlungen und mangelnder Ernährung ein wesentlicher Vernichtungsfaktor, ganz wie bei den männlichen Mithäftlingen. Die Benachteiligung der Frauen im Arbeitsprozeß, z.B. in puncto Entlohnung, fand sich unverändert übertragen auch im KZ wieder: Die Lagerleitung des FKL Ravensbrück vermietete eine große Anzahl Häftlinge an SS-eigene Produktionsbetriebe und leitete den Profit an das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) weiter. Frauen wurden generell als Hilfsarbeiterinnen eingestuft. Ihr Lohn betrug zwei Drittel des Satzes ihrer männlichen "Fach"-Kollegen. Weder die männlichen noch die weiblichen Häftlinge bekamen davon etwas ausbezahlt (S. 60).

Zwei Aufsätze thematisieren die Ermordung der meisten Neugeborenen und die traurige Lage der überlebenden Kinder, machen außerdem deutlich, daß


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bei vielen Frauen als Folge der traumatischen Erlebnisse und der extremen körperlichen Erschöpfung die Menstruation ausblieb, selbst eine bestehende Schwangerschaft nicht mehr als solche registriert wurde (S. 154).

Die Aufsätze des zweiten Abschnitts, der mit 164 Seiten den gewichtigsten Teil des Sammelbandes bildet, nähern sich mit immer wieder anderem Blickwinkel dem Lager-Alltag, mal dem in Bergen-Belsen, dann wieder dem in Ravensbrück. Es wurden weitere frauenspezifische Aspekte einfühlsam und sensibel herausgearbeitet. Nicht auf alles kann hier eingegangen werden. Namen, Daten, Ereignisse in dieser heterogenen Aufsatzsammlung tauchen doppelt, ja mehrfach, auf, so daß sich bei der Lektüre zunächst die Frage stellte, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn eine Redaktion die Texte noch einmal kritisch miteinander verglichen hätte. Ein Eindruck, der später revidiert werden mußte (s.u.).

Der dritte Abschnitt, lediglich 30 Seiten lang, befaßt sich mit Täterinnen und Tätern. Für die Kommandantur und die äußere Bewachung der Lager wurde männliches SS-Personal eingesetzt, für die innere Organisation sorgten SS-Aufseherinnen. Die Methoden der Rekrutierung dieser Frauen und die soziale Zusammensetzung des weiblichen Bewachungspersonals wird insbesondere für Ravensbrück genauer untersucht. Auch in der SS-Hierarchie bildeten die Frauen nur das "Gefolge". Sie hatten keine Führungspositionen inne (S. 225).

Daß Opfer auch Täterinnen (und Täterinnen ebenfalls Opfer) sein können, zeigt die Untersuchung des Aufbaus der Häftlingsselbstverwaltung bereits im zweiten Abschnitt. Die ambivalente Rolle der Funktionshäftlinge als verlängerter Arm der SS wird hier (S. 89ff.) bereits ausführlich dargestellt. Die für Ravensbrück vorgenommene Untersuchung kommt auch zu dem Schluß, daß "weibliche Häftlinge offenbar nur in Ausnahmen mit der aus Männerlagern überlieferten Rigorosität" vorgingen, wenn es z.B. darum ging, Kungeleien einzelner mit der SS zu ahnden (S. 96).

Der vierte Abschnitt des Sammelbandes greift die "Lebensgeschichten" einiger überlebender Opfer auf. Sowohl den Jahren vorher als auch dem Leben nach der Inhaftierung wird Aufmerksamkeit geschenkt. Stellvertretend für viele andere werden hier noch einmal Einzelschicksale beleuchtet. Zu Wort kommen eine deutsche Sintezza, eine in Ravensbrück internierte Französin, eine ungarische Jüdin, zwei als "politisch" Inhaftierte, eine als "asozial" Verhaftete, eine russische Ärztin als "Kriegsgefangene der Roten Armee", eine Niederländerin, deren Mutter Jüdin war, und eine Zeugin Jehovas.

Wie ein Mosaik entsteht auf knapp 350 Seiten aus zahlreichen Bausteinen, aus unterschiedlich dichten Einzelaufsätzen, aus immer wieder befragten Quellen ein komplexes, grausames, kaum faßbares Gesamtbild. Scheinbare Widersprüche, hervorgerufen durch individuelle Erfahrungsberichte von Überlebenden, die abhängig von Dauer und Zeitpunkt ihres Aufenthalts verschiedene Zustände der Lager erlebten, lösen sich auf, da sie mehrfach aus unterschiedlicher Perspektive hinterfragt und eingeordnet werden.

Daß Frauen auf Grund ihres Geschlechts in besonderer Weise gedemütigt und erniedrigt wurden, daß Frauen andere Verhaltensweisen und Über-


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lebensstrategien entwickelten als männliche Häftlinge, daß auch Täterinnen und Täter sich unterscheiden, all das belegt der Sammelband mehrfach. Insgesamt ein beeindruckender Beitrag zur NS-Frauenforschung, der auch durch seine umfangreiche Quellen- und Literaturliste zum Weiterlesen, Weiterforschen anregt.

Man darf gespannt sein auf die künftigen Aktivitäten schleswig-holsteinischer Forschungseinrichtungen zu diesem Gebiet.

Sabine Zeis

Claus Füllberg-Stolberg (u. a. Hrg.):
Frauen in Konzentrationslagern: Bergen-Belsen; Ravensbrück. Bremen: Edition Temmen 1994. 347 S.


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 31 (Juni 1997) S. 86-89.


Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 31

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