//59//

Gerhard Hoch:
Roland Freisler - Anwalt der Kirche

Beim Durchblättern eines kirchlichen Sonntagsblattes der NS-Zeit ist man nicht unbedingt darauf gefaßt, dem Namen Roland Freislers, des Vorsitzenden des berüchtigten Volksgerichtshofes, zu begegnen, jedenfalls nicht in einem positiven Sinn. Dies jedoch geschah mir bei der Beschäftigung mit der Zeitung Pflugschar und Meißel. [1]

In der Ausgabe vom 6. Dezember 1936 findet sich ein Aufsatz unter dem Titel "Der Gotteslästerungsparagraph im neuen Strafrecht". Die Plazierung in der Spalte "Zeitlupe" sollte die besondere Aufmerksamkeit der Leser auf diesen Beitrag lenken. In Sperrdruck präsentiert sich der Name des Staatssekretärs Dr. Freisler in der ersten Zeile, um dessen Ausführungen über "Das neue Strafrecht zu der künftigen Behandlung der Religionsvergehen" vorzustellen, und zwar so, daß längere Passagen aus Freislers Beitrag "Das neue Strafrecht als nationalsozialistisches Bekenntnis" zum Abdruck kommen, das den weitaus umfangreichsten Teil des 1936 von Reichsjustizminister Gürtner und Freisler herausgegebenen Buches "Das neue Strafrecht. Grundsätzliche Gedanken zum Geleit" bildet (S. 33 - 115).

Die Redaktion des Blattes konnte und mußte wissen, wen sie mit Freisler vor sich hatte, denn schon vor dem Erscheinen des zitierten Buches war er in seinem Amt als Staatssekretär erst des Preußischen, dann des Reichsjustizministeriums hervorgetreten, und bald nach der Machtübergabe an Hitler als Motor bei der "Säuberung der Justiz" vor allem von Juden. Zudem war er aufgefallen durch sein Bestreben zu rigoroserer Anwendung der Strafjustiz besonders gegen politische Gegner und durch seine schon damals rabiate Redeweise[2].

Wenn die Redaktion ihm trotzdem Platz in ihrem Sonntagsblatt einräumte, dann wohl deshalb, weil dieser Mann sich zum Anwalt kirchlicher Interessen machte. Es ging um den strafrechtlichen Schutz einer kirchlichen Domäne im öffentlichen Leben: um die juristische Ahndung dessen, was als "Gotteslästerung" galt.

Der Beitrag in Pflugschar und Meißel beginnt mit Freislers Feststellung, daß das neue Strafrecht bezüglich der sogenannten Religionsvergehen "weitgehend vorgezeichnet [ist] durch Punkt 24 des Parteiprogramms der NSDAP". Dieser Programmpunkt wurde aber im Wortlaut nicht wiedergegeben: "Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden".

Die Redaktion konnte mit Recht voraussetzen, daß speziell dieser Programmpunkt im Bewußtsein des Kirchenvolkes vollkommen sicher verankert war, hatte er doch schon vor, besonders aber nach 1933 im Mittelpunkt unzähliger öffentlicher Erörterungen über die Beziehung zwischen Kirche bzw. Christentum und der Hitler-Partei


//60//

gestanden. Dabei hatten nur sehr wenige Anstoß an der vulgären Terminologie (z.B. "germanische Rasse") oder an den in jede Richtung drehbaren Bedingungen der religiösen Bekenntnisfreiheit genommen. Man muß bedenken, daß dieser Programmpunkt keineswegs Ursprung und Begründung einer kollektiv empfundenen Übereinstimmung von überkommenem Christentum und Kirchentum mit dem Nationalsozialismus war, vielmehr dessen "freudig" begrüßte Bestätigung.

Freisler konnte in seinem Text nun fortfahren mit einer näheren Umschreibung seines Begriffes von Gotteslästerung, der künftig Grundlage der richterlichen Rechtsprechung sein sollte:

"1. W e r   G o t t   l ä s t e r t   oder sonst das religiöse Empfinden des deutschen Volkes böswillig verletzt, verletzt diese Freiheit religiösen Bekenntnisses; denn sie schließt in sich, daß jeder, der sich zu einer Weltanschauung, die mit dem Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse vereinbar ist, bekennt, in der U n g e s t ö r t h e i t   s e i n e s   r e l i g i ö s e n   E m p f i n d e n s   gegen Beschimpfungen und ähnliche gröbliche Verletzungen geschützt wird." Schon die Verwaschenheit und Unlogik in dieser Aussage ist erstaunlich für einen früheren Rechtsanwalt und nunmehrigen Staatssekretär.

Im Anschluß an sein Resümee, daß Verstöße gegen diese Norm als "kriminelles Unrecht" zu qualifizieren seien, unternimmt es Freisler nicht ungeschickt, mit diesem Religionsparagraphen die Beschützerrolle des NS-Staates für die Kirche hervorzuheben und die bestehende Identifikation des größtes Teiles des Kirchenvolkes mit der Ideologie des Dritten Reiches womöglich noch zu verstärken.

Er tut dies, indem er dem Strafrecht des Dritten Reiches die liberale Rechtsordnung der Weimarer Republik gegenüberstellt, die an "Beschimpfungen und Verhöhnungen des Christentums [...] überreich war." Dabei bedient er sich einer Reihe von geschmacklosen und nicht ernst zu nehmenden Beispielen aus nicht bezeichneten obskuren Quellen und versichert, "Machwerke, gegen die vorzugehen damals keine Handhabe bestand, werden künftig nicht mehr straflos geschehen können." Er versäumt auch nicht, darauf hinzuweisen, daß der Völkische Beobachter, das Parteiorgan der NSDAP, schon während der "Kampfzeit" solche Beschimpfungen "gebrandmarkt" habe.

Seinen dritten Abschnitt läßt Freisler mit einer grammatischen und begrifflichen Unlogik beginnen: "Wenn die Gotteslästerung mit Strafe bedroht wird, so bedeutet das im Grunde auch nichts anderes als eine besondere Art der Verletzung des religiösen Empfindens."

Doch treibt der Staatssekretär seine Oberflächlichkeit noch weiter: Es ist


//61//

"nicht angängig, am Worte 'Gott' herumzumäkeln, es verstandesmäßig zu zergliedern." Grammatisch knüpft Freisler an das "Zergliedern" an, wenn er dann unmittelbar fortfährt: "Es bedeutet nichts anderes, als was es z.B. jedem bedeutete, der nach den erhebenden Gottesanrufungen des Führers, mit dem dieser seine Rede am 28. März 1936 in Köln schloß, einstimmte in den Niederländischen Dankchoral" mit dessen Schlußruf "Herr, mach uns frei!"

Es handelte sich um das sogenannte "Niederländische Siegeslied", auch bezeichnet als "Niederländisches Dankgebet", Lieblingslied schon Kaiser Wilhelms II., das wie kaum ein anderes Kirchenlied geeignet war und auch dazu benutzt wurde, Menschenmassen fanatisch und ekstatisch "hinzureißen", ganz im Sinne Freislers, der seine Ausführungen in Pflugschar und Meißel mit dem Satz enden läßt: "Da [beim Singen dieser Lieder, G.H.] hat niemand sich Gedanken darüber gemacht, wie dogmatisch oder verstandesmäßig oder sonstwie dieser Gottesbegriff auszufüllen sei."

Der nicht näher "ausgefüllte" Gottesbegriff dieses Liedes teilt sich auch ohne "verstandesmäßiges Zergliedern" beim Betrachten des Textes deutlich genug mit:

Wir treten zum Beten
vor Gott, den Gerechten.
Er waltet und haltet
ein strenges Gericht.
Er läßt von den Schlechten
die Guten nicht knechten;
Sein Name sei gelobt,
er vergißt unser nicht.

Im Streite zur Seite
ist Gott uns gestanden;
Er wollte, es sollte
das Recht siegreich sein;
Da ward, kaum begonnen,
die Schlacht schon gewonnen;
Du, Gott, warst ja mit uns,
der Sieg, er war Dein.

Wir loben Dich oben,
Du Lenker der Schlachten,
Und flehen, mögst stehen
uns fernerhin bei,
Daß Deine Gemeinde
nicht Opfer der Feinde.
Dein Name sei gelobt;
o Herr, mach uns frei!

Auch dieses Lied bedurfte keines nochmaligen Abdrucks im Gemeindeblatt. Es war durch häufiges Singen in den Kirchen und auf Parteiveranstaltungen längst zum Gemeingut des Kirchenvolkes geworden. Es war auch in Pflugschar und Meißel den Lesern schon früher präsentiert und auch in kirchliche Gesangbücher aufgenommen worden.

Der Gottesbegriff Freislers, der Partei und sicher der meisten Christen formierte sich aus der Projektion der nationalen ("tribal") Identität, ihren Interessen und Aspirationen zum Bild einer primitiven, archaischen Stammesgottheit.

Rückblickend auf den Anlaß des Freisler-Artikels ist festzustellen: Es war der in diesem Lied angerufene "Gott", den das neue Strafrecht vor "Lästerung und Beschimpfung" zu schützen gedachte. Und das evangelische Gemeindeblatt nahm dies mit Dank an. Kirchenführern, Kirchenvolk und vielen Theologen wurde nicht bewußt, daß sie einer Perversion, einer Verkehrung ihres zentralen neutestamentlichen Glaubens unterlagen, die freilich ihrerseits Ergebnis einer


//62//

jahrhundertelangen Entwicklung war. Sonst hätte ihnen klar sein müssen, daß das christliche Gottesbild durch Aussagen wie die in diesem Liede "gelästert" wurde und daß sie sich dem Schutz bzw. der Umklammerung durch jenen Staat und jene Partei auslieferten, deren Ziele und Politik in wesentlichen Punkten "Beschimpfung" des christlichen Gottes und seiner "Sittlichkeits- und Moral"-Ordnung darstellte. Damit stehen wir vor einem nur schwer faßbaren schizophrenen Phänomen: die auch gegen den NS-Staat eifersüchtig auf die Reinheit ihrer dogmatischen Substanz und die Unantastbarkeit ihrer Verfassung bedachte Kirche beteiligte sich in ihrer Praxis an der Aushöhlung und Verleugnung ihres eigenen Bekenntnisses.

1. Mir liegt vor die wöchentlich erscheinende Kopfblatt-Ausgabe mit dem Untertitel "Gemeindeblatt für das Kirchpiel Kaltenkirchen"; siehe dazu auch G. Hoch, Zwölf wiedergefundene Jahre. Kaltenkirchen unter dem Hakenkreuz. Bad Bramstedt 1980. S. 36 - 39.

2. Karl Dietrich Bracher, Wolfgang Sauer, Gerhard Schulz: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Köln und Opladen 1960. S. 562 u.ö.


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 31 (Juni 1997) S. 59-62.


Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 31

Übersicht Informationen

Verfügbare Texte

Titelseite AKENS