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Klaus-Detlev Godau-Schüttke

Personelle und inhaltliche Kontinuitäten:
Folgen der gescheiterten Entnazifizierung der Justiz

I. "Die Verantwortlichkeit des Richters und Staatsanwalts für die Anwendung nationalsozialistischer Gesetze."

Nachdem der Osten, insbesondere die DDR, Ende der 50er Jahre durch die sog. Braunbücher [1] die Justiz der Bundesrepublik wegen ihrer NS-Vergangenheit angegriffen hatte, sah sich auch der Schleswig-Holsteinische Justizminister Leverenz (FDP) gezwungen, zu diesen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Am 5. Mai 1960, anläßlich der Einführung des neuen Landgerichtspräsidenten in Flensburg, nahm Leverenz in einer Rede mit dem obigen Thema zu den Vorwürfen aus dem Osten Stellung. [2] Eine Analyse dieser Rede [3] würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen. Jedoch ist hier thesenartig hervorzuheben, daß Leverenz die Rechtsprechung der Sondergerichte des Dritten Reiches in nicht nachvollziehbarer Weise verharmloste. Er unternahm auch den Versuch, die Rechtsprechung der Sondergerichte als rechtsstaatliche Verfahren in formeller und materieller Hinsicht hinzustellen. Das Ergebnis seiner Ausführungen faßte Leverenz wie folgt zusammen: "Den Richtern und Staatsanwälten, die früher bei den Sondergerichten in Kiel und Berlin tätig warenund heute im schleswig-holsteinischen Justizdienst stehen, kann aus ihrer damaligen Tätigkeit kein Vorwurf gemacht werden."

Daß diese Rede nicht nur in den Schleswig-Holsteinischen Justizkreisen dankbar aufgenommen wurde, versteht sich von selbst. Wie rechtlich brüchig und menschenverachtend die Meinung von Leverenz war, wird hier noch anhand der "Rechtsprechung" des Sondergerichts Warschau dargelegt werden. Weit wichtiger aber ist die Frage, wie die Gerichte der Bundesrepublik - hier das Oberlandesgericht Schleswig - die "Rechtsprechung" des Sondergerichts Warschau bewertet haben. Bei der Beantwortung dieser Frage wird folgendes offenbart: Jede Analyse der NS-Justiz und der bundesrepublikanischen Rechtsprechung über dieselbe muß sich auch mit personellen und inhaltlichen Kontinuitäten auseinandersetzen. Diese Kontinuitäten werden den Schwerpunkt des Beitrages bilden.

II. Beispiele personeller und inhaltlicher Kontinuitäten

Daß 1961/62 im ganzen Bundesgebiet nur 149 Richter und Staatsanwälte - in Schleswig-Holstein waren es nur zwei Richter [4] - aufgrund des 1961 neugeschaffenen § 116 Deutsches Richtergesetz [5] (hiernach konnten belastete NS-Juristen ohne Angabe von Gründen mit voller Pension aus dem Dienst scheiden) den Rückzug in das Privatleben beschritten, kann auch auf folgende Gründe zurückgeführt werden: Fast ausnahmslos hatten die NS-Richter und NS-Staatsanwälte wegen ihres Tuns im Dritten Reich kein Unrechtsbewußtsein bzw. gaben


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dies zumindest vor. Diese nach außen ohne Selbstzweifel gezeigte Haltung fand ihren Niederschlag auch in rechtfertigenden und die Wahrheit verschüttenden Schriften:

So spricht das Buch des ehemaligen Reichsgerichtsrats und späteren Bundesrichters Fritz Hartung, der von 1930 bis zur Kapitulation dem 3. Strafsenat des Reichsgerichts angehörte und der damit in besonderer Weise die Willkürjustiz des Dritten Reiches repräsentiert [6], bereits von seinem Titel her für sich selbst: "Jurist unter vier Reichen". [7] Was der Titel vermuten läßt, scheut sich Hartung nicht, rechtfertigend im einzelnen darzulegen [8]: Der 3. Strafsenat des Reichsgerichts unter der Leitung des Reichsgerichtspräsidenten Bumke [9] habe lediglich Schlimmeres verhütet.

Noch als Bundesrichter hielt Hartung wenig kritische Distanz zu seiner eigenen Vergangenheit. Vielmehr schwärmte er noch 1971: "Auch auf juristischem, insbesondere strafrechtlichem Gebiet hatte das nationalsozialistische Regime im Anfang Fortschritte von grundlegender Bedeutung gebracht. [...] Viele kleinere Novellen brachten weitere Verbesserungen, die bis heute Bestand haben und aus dem Strafrecht nicht mehr wegzudenken sind." [10] Durch diese Ausführungen wird folgendes Phänomen deutlich: Auch in konservativen Juristenkreisen, die am Anfang noch eine kritische Distanz zum Nationalsozialismus hielten, machte sich mit der Machtergreifung eine Aufbruchstimmung breit. Diese Aufbruchstimmung wurde auch nicht enttäuscht; denn schon kurze Zeit nach der Machtergreifung wurden die von Hartung angesprochenen Reformen eingeleitet, welche während der Weimarer Republik aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Reichstag nicht verabschiedet werden konnten. Daß Hartung nach der Machtergreifung diese Aufbruchstimmung mitgetragen hat und daß er von den ersten sachlichen Erfolgen möglicherweise geblendet wurde, kann ihm aus heutiger Sicht wohl nicht zum Vorwurf gereichen. Demgegenüber ist seine Nachbetrachtung - wie aufgezeigt - schon deshalb entlarvend, weil er die gesamte NS-Justiz unkritisch darstellt und beschönigt.

Auch der Militärstrafrechtler Prof. Dr. Erich Schwinge, selbst Heeresrichter während des Dritten Reiches [11], stellte die Militärgerichtsbarkeit als Hort der Gerechtigkeit dar. Wissenschaftlich waren seine mit apologetischer Tendenz niedergelegten Ausführungen nicht haltbar, so daß das Institut für Zeitgeschichte in München die Veröffentlichung seines Manuskriptes ablehnte. [12]

Diese beiden Beispiele belegen bereits, welches geistige Fundament die NS-Juristen nach dem Kriege aufzubauen verstanden, um ihr vergangenes Tun als schlichten Dienst an der Gerechtigkeit zu verdeutlichen. So kann es nicht überraschen, daß sogar der Präsident des Bundesgerichtshofes Hermann Weinkauff in einer Rede am 2. Oktober 1954 anläßlich der Feier "75 Jahre Reichsgericht" teilweise unkritisch und auch historisch verzerrend ausführte:

"Durchaus kennzeichnend war, daß die Mitglieder des Reichsgerichts im allgemeinen nicht nur sog. gute Juristen waren [...], sondern in aller Regel auch selbständige, größtenteils sogar eigenwillige Persönlichkeiten von oft hohem menschlichen Range, von umfassender, oft sogar von musischer Bildung. Den Typus des engen Fachmannes fand man


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fast nie unter ihnen. [...] Daß dann der Nationalsozialismus den Versuch machte, das Reichsgericht durch seine Personalpolitik und durch seinen Terror politisch, menschlich und rechtlich zu zersetzen, daß ihm dieser Versuch teilweise gelang [...] und daß ihm auch das teilweise gelang, daß schwere Schatten auf die Rechtsprechung dieser Gremien fielen, daß damals ein unerhörter Druck und die schimpflichsten Spitzelmethoden auf dem Gericht lasteten, daß sich in ihm eine lähmende Atmosphäre der Furcht, des Mißtrauens, der Erbitterung, ja der Verzweiflung ausbreitete, das alles ist bekannt. Das Reichsgericht war damals nicht mehr es selbst. Zwar ergingen weitaus die meisten Entscheidungen auch jetzt noch in dem alten ehrenhaften richterlichen Geist [...] und doch war dem Gericht die Lebensluft der Freiheit und Unabhängigkeit genommen. Nichts aber wäre falscher und ungerechter, als dem heute in der Haltung eines billigen Pharisäismus gegenüberzutreten. Hier gilt vielmehr das Wort: 'Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.' Vor allem aber gilt es zu erkennen, wie das kam, und dafür zu sorgen, daß es nicht mehr kommen kann." [13]

Diese Worte wurden in Juristenkreisen dahin verstanden, daß die Vergangenheit endgültig ad acta gelegt werden sollte, zumal bis in die Spitzen der bundesdeutschen Justiz NS-Richter und NS-Staatsanwälte wieder eingedrungen waren. [14]

Ob die sog. Kommunisten-Prozesse in der Bundesrepublik [15] während der 50er/ 60er Jahre ohne diese personelle Kontinuität überhaupt durchführbar gewesen wären, bedarf noch der wissenschaftlichen Untersuchung. Zwar wurde lebhaft beklagt, daß einige Richter am Bundesgerichtshof es zu vermeiden suchten, dem 3. Strafsenat - für politische Sachen zuständig - zugeordnet zu werden. [16] Diese vereinzelt auftretenden individuellen Skrupel mancher Richter hatten jedoch keinen negativen Einfluß auf das System der Politischen Justiz [17], die reibungslos funktionierte. Max Güde (CDU), von 1957 bis 1961 amtierender Generalbundesanwalt, der als anerkannter Rechtspolitiker nicht im Ruf stand, vorschnelle und pauschale Urteile abzugeben, stellte aber einen vernichtenden Zusammenhang zwischen der politischen Justiz in der Bundesrepublik und dem Dritten Reich her, wenn er behauptete: "Die Judikatur unter den Alliierten, die politische Säuberung in den ersten Nachkriegsjahren, angefangen von den Nürnberger Prozessen und aufgehört bei der Entnazifizierung, haben der deutschen Justiz das Rückgrat (nach Hitler) ein zweites Mal gebrochen. Davon erholt man sich nicht so schnell. Die heutige politische Justiz judiziert aus dem gleichen gebrochenen Rückgrat heraus, aus dem das Sondergerichtswesen (Hitlers) zu erklären ist." [18]

Als das Bundesverfassungsgericht am 17. Dezember 1953 [19] entschied, daß alle Beamtenverhältnisse am 8. Mai 1945 erloschen seien, brach ein Protest in der deutschen Justizöffentlichkeit aus. Nicht nur das Ergebnis dieser Entscheidung, sondern auch deren Begründung rief die konservativen Beamten und Juristen auf den Plan. Das Bundesverfassungsgericht führte in seiner Entscheidung u.a. aus: Das NS-Beamtenrecht habe seine Grundlage in der Überzeugung gehabt, der Amtsträger müsse "für den Staat kämpferisch tätig sein", so daß er "innerlich mit dem Führer als dem politischen


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Mittelpunkte des Staates lebt", weil "die Ausbildung des Charakters im nationalsozialistischen Sinne wichtiger ist als die Fachkenntnisse." Der Beamte sei "politischer Soldat in Zivil" gewesen. Rechtsverhältnisse dieser Art seien mit dem 8. Mai 1945 erloschen.

Der Bundesgerichtshof war aber anderer Meinung. Der Große Zivilsenat entschied am 20. Mai 1954: "Der überwiegende Teil der deutschen Beamten hat sich [...] trotz des schimpflichen und rechtswidrigen Druckes [...] in erster Linie dem Staate und seinen legitimen Aufgaben verpflichtet" gefühlt. Der von den Beamten geleistete Treueeid auf Hitler habe nicht diesem persönlich, sondern dem "Obersten Staatsorgan" gegolten. "Als sich aber die verbrecherischen Ziele und Methoden des Nationalsozialismus immer mehr enthüllten, wurde diese aufgezwungene Bindung überwiegend nur unwillig, unter scharfer innerer Ablehnung und unter schärfstem Terror ertragen." [20]

An dieser Entscheidung wird geradezu klassisch deutlich, wie personelle und inhaltliche Kontinuität einander bedingen, wenn die Person des Präsidenten des Bundesgerichtshofs Hermann Weinkauff (1950 bis 1960), der als Vorsitzender des Großen Zivilsenats die Entscheidung am 20. Mai 1954 mit getragen hatte, beleuchtet wird [21]: Er war Parteimitglied seit 1933 und Träger des silbernen Treuedienst-Ehrenzeichens. Dem Reichsgericht gehörte er von 1937 bis 1945 an. [22] In seinem nach der Pensionierung verfaßten apologetischen Werk "Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus" stellte er "die Justiz und den Nationalsozialismus als getrennte Phänomene einander" [23] gegenüber und schilderte die Justiz im Dritten Reich als Opfer der "rechtsfeindlichen politischen Führung". Daß Weinkauff mit dieser Vergangenheit und Bewußtseinsbildung als Garant der inhaltlichen Justizkontinuität angesehen wurde, kann nicht verwundern.

Als Mitte der 50er Jahre ein Zigeunermischling, der im Mai 1940 verhaftet und mit einem Sammeltransport nach dem Generalgouvernement (Polen) in ein Lager gebracht, wo er 1945 von den Russen befreit worden war, nach dem Bundesentschädigungsgesetz Wiedergutmachung forderte [24], würdigte der 4. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in seinem Urteil vom 7. Januar 1956 die Verfolgungsmaßnahmen u. a. mit folgenden Ausführungen:

"[...] daß trotz des Hervortretens rassenideologischer Gesichtspunkte nicht die Rasse als solche Grund für die darin getroffenen Anordnungen bildet, sondern die bereits erwähnten asozialen Eigenschaften der Zigeuner, die auch schon früher Anlaß gegeben hatten, die Angehörigen dieses Volkes besonderen Beschränkungen zu unterwerfen. Es wird einleitend nicht nur auf die rassenbiologischen Erkenntnisse, sondern auch auf die bei der Bekämpfung der Zigeunerplage gesammelten Erfahrungen hingewiesen, die es angezeigt erscheinen ließen, die Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus in Angriff zu nehmen." [25]

Gerade solche Entscheidungen mit ihrer einschlägigen Terminologie und ihrer unangemessenen, gefühllosen Sprache führten zu Recht dazu, daß den erkennenden Richtern nationalsozialistische Denkweise vorgeworfen wurde.

Auch die nach 1945 stattgefundene ideologische Auseinandersetzung zwischen Naturrecht und Positivismus [26]


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beleuchtet ein weiteres Mal die Frage nach der inhaltlichen Kontinuität. Der Präsident des Bundesgerichtshofes Weinkauff schnitt in seiner bereits zitierten Rede am 2. Oktober 1954 diese Auseinandersetzung an und führte insoweit aus:

"Das Reichsgericht befolgte in seiner ganzen Rechtsprechung die Übung, die der positiven Rechtsordnung vorausliegenden philosophischen Grundlagen des Rechts nicht anzurühren, zu ihnen nicht Stellung zu nehmen, sondern sich auf die sinnvolle Anwendung des im wesentlichen ungeprüft hingenommenen gesetzten Rechts auf den Einzelfall zu beschränken. Es fand sich dabei in völliger Übereinstimmung mit dem Rechtsgedanken aller Juristengenerationen in der zweiten Hälfte des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Nun entspricht eine solche Praxis sicher alter richterlicher Weisheit; sie setzt aber zweierlei voraus: einmal, daß sich das gesetzte Recht, gewissermaßen selbstverständlich, im Rahmen der rechtlichen Ur-Ordnung hält und dann, daß in einer Gesellschaft gewisse Grundprinzipien des Rechts und der Ethik in allgemeiner, unbezweifelter, wenn auch stillschweigender Geltung stehen. Als daher diese Voraussetzungen entfielen, als unter dem Nationalsozialismus großes, vom Staat selbst in die Form des Gesetzbefehls gebrachtes Unrecht in die Rechtsordnung eindrang, konnte man vom Boden dieser Auffassung des Rechts und des Richtertums aus keine der Schwere des Angriffs entsprechende Gegenwehr leisten. Hier ist eine tiefgreifende Neubesinnung auf die Grundlage des Rechts geboten." [27]

Diese Rede ließ ein Problem unerwähnt: Die Tatsache nämlich, warum die NS-Juristen in ihrer Eigenschaft als Mensch trotz allen Glaubens an den Gesetzespositivismus zu keinen kritischen Fragen fähig gewesen sein wollen, zumal im Rahmen des sich immer mehr verschärfenden NS-Strafrechts zwangsläufig Fragen nach dem Humanismus sich aufdrängen mußten. Die von Weinkauff aufgezeigte, sich allein am Gesetzespositivismus orientierende Blickweise war u. a. mitursächlich dafür, daß nach 1945 kein NS-Staatsanwalt und kein NS-Richter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden ist.

III. Die "Rechtsprechung" des Sondergerichts Warschau und das Oberlandesgerichts Schleswig: Ein Fall inhaltlicher Kontinuität?

Anhand eines konkreten Falles, der sich in Schleswig-Holstein abgespielt hat, soll das Spannungsverhältnis zwischen Naturrecht und Gesetzespositivismus noch einmal aufgezeigt werden. [28] Dabei wird die Frage nach der inhaltlichen Kontinuität offensichtlich.

Am 12. Oktober 1939 erließ die Reichsregierung einen Erlaß, in dem unter § 5 bestimmt wurde:

"(1) Der Ministerrat für die Reichsverteidigung, der Beauftragte für den 4-Jahres-Plan und der Generalgouverneur können durch Verordnung Recht setzen.

(2) Die Verordnungen werden im 'Verordnungsblatt für die besetzten polnischen Gebiete' verkündet." [29]

Auf diesem Erlaß fußend erließ am 15. November 1939 der im besetzten Polen als Generalgouverneur eingesetzte Reichsminister Frank - der von deut-


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schen Truppen besetzte Teil des Landes wurde als Generalgouvernement bezeichnet - eine "Verordnung über Sondergerichte im Generalgouvernement". Diese Verordnung wurde in deutscher und polnischer Sprache im Verordnungsblatt für das Generalgouvernement veröffentlicht. [30] Durch diese Verordnung wurde auch in Warschau ein Sondergericht eingerichtet.

Durch Verordnung vom 13. September 1940 [31] konnten im besetzten Polen Aufenthaltsbeschränkungen verfügt werden. Am 17. Juni 1941 wurde für die im Warschauer Ghetto eingesperrten Juden eine spezielle Aufenthaltsbeschränkung erlassen. [32] Da die Juden - so die Klage der in Warschau amtierenden deutschen Behörden - sich jedoch nicht an diese Aufenthaltsbeschränkung hielten, erließ Generalgouverneur Frank am 15. Oktober 1941 eine weitere Verordnung [33], in der unter § 4b folgendes bestimmt wurde:

"(1) Juden, die den ihnen zugewiesenen Wohnbezirk unbefugt verlassen, werden mit dem Tode bestraft. Die gleiche Strafe trifft Personen, die solchen Juden wissentlich Unterschlupf gewähren.

(2) Anstifter und Gehilfen werden wie die Täter, die versuchte Tat wird wie die vollendete bestraft. In leichteren Fällen kann auf Zuchthaus oder Gefängnis erkannt werden.

(3) Die Aburteilung erfolgt durch die Sondergerichte."

Nach Erlaß dieser Verordnung tagte das Sondergericht Warschau zweimal in der Woche im ehemaligen polnischen Gerichtsgebäude im Ghetto und fällte bis zu 30 Todesurteile an einem Vormittag. [34] Bei den Angeklagten handelte es sich überwiegend um junge Burschen und Mädchen, die als Grund für das Verlassen des Ghettos meistens angaben, Lebensmittel beschafft haben zu wollen.

Von der Existenz des Sondergerichts Warschau und dessen Aufgabenkreis war das Schleswig-Holsteinische Justizministerium unterrichtet, wie sich aus der Personalakte eines Amtsgerichtsrats ergibt: Im Rahmen der Entnazifizierung gab dieser Amtsgerichtsrat an, zeitweilig 1943/1944 beim Sondergericht Warschau tätig gewesen zu sein. Offensichtlich wegen dieses Umstandes und wegen der Tatsache, daß der Amtsgerichtsrat 1945 auch beim Sondergericht Kiel eingesetzt gewesen war, wurde er 1945 von den Briten aus dem Justizdienst entlassen. Im Mai 1951 trat in Kenntnis all dieser Umstände das Schleswig-Holsteinische Justizministerium von sich aus an den entlassenen Amtsgerichtsrat heran und holte ihn wieder als Richter in den Justizdienst. 1964 trat der Amtsgerichtsrat dann in den Ruhestand. [35]

Bereits im März 1960 wandte sich ein Schweizer Staatsangehöriger - Johannes Weingartner - schriftlich an den Generalbundesanwalt und teilte diesem mit:

"Ich erlaube mir, auf zwei Mitglieder des ehemaligen Sondergerichts Warschau hinzuweisen, die sich in übelster Weise Rechtsbeugungen und mehr zuschulden kommen ließen. Es handelt sich um den damaligen Vorsitzenden des Sondergerichts Warschau Dr. Martin Leitsmann, heute Handelsvertreter in Lübeck [...] und den damaligen Amtsgerichtsrat Dr. Christen beim gleichen Sondergericht, der heute wieder im Justizdienst des Landes Schleswig-Holstein als Richter tätig ist." [36]

Der Generalbundesanwalt leitete dieses Schreiben an das Schleswig-Hol-


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steinische Justizministerium weiter. Die zuständige Lübecker Staatsanwaltschaft nahm die Ermittlungen wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung auf [37], stellte jedoch das Ermittlungsverfahren wegen Verjährung ein. [38] Der Schweizer Staatsangehörige legte hiergegen Beschwerde ein. [39] Generalstaatsanwalt Nehm antwortete auf diese Beschwerde am 16. Juli 1960:

"Ich habe den Sachverhalt geprüft, jedoch keine Veranlassung gefunden, in Abänderung des angefochtenen Bescheides die Erhebung der öffentlichen Klage oder eine sonstige Maßnahme anzuordnen. Die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch den Oberstaatsanwalt in Lübeck ist zutreffend. Die Strafverfolgung wegen der in Betracht kommenden Delikte ist verjährt." [40]

Diese bündige Behandlung der Angelegenheit hatte den gewünschten Erfolg. In den nächsten Jahren wurde die Schleswig-Holsteinische Justiz nicht wieder mit dem Sondergericht Warschau konfrontiert. Dies sollte sich allerdings 1965 ändern.

1965 mußten nämlich die Ermittlungen von Amts wegen gegen ehemalige Staatsanwälte und Richter des Sondergerichts Warschau eingeleitet werden. Das Verfahren ging auf belastende Angaben zurück, die ein früherer Urkundsbeamter des Sondergerichts Warschau in einem gegen ihn wegen Urkundenfälschung und Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt anhängigen Ermittlungsverfahren und späteren Strafverfahren gemacht hatte. [41] Das Ermittlungsverfahren brachte über den bereits oben geschilderten Sachverhalt folgende weitere Tatsachen ans Licht [42]:

Hauptbeschuldigte des Ermittlungsverfahrens waren der Leiter des ehemaligen Sondergerichts in Warschau, Landgerichtsdirektor i.R. Dr. Martin Leitsmann und der ehemalige Leiter der Deutschen Staatsanwaltschaft in Warschau, Oberstaatsanwalt i.R. Wolle. Die Beschuldigten räumten ein, daß die Anklagen wegen unbefugten Verlassens des Ghettos äußerst kurz waren und nur aus einigen Sätzen bestanden. Wieviele der gefällten Todesurteile (1000 bis 1500) vollstreckt wurden, konnte nicht genau festgestellt werden, weil offensichtlich alle Akten des Sondergerichts Warschau beim Herannahen der russischen Truppen vernichtet wurden. Allerdings konnte von acht Vollstreckungen zweifelsfrei ausgegangen werden. Der Beschuldigte Wolle bestritt nicht, daß Todesurteile der genannten Art ergangen waren. Er behauptete aber, er habe entgegen der ausdrücklichen Anweisungen diese Todesurteile nicht vollstrecken lassen, weil ihm der Grund der Verurteilung zu geringfügig gewesen sei, so daß die Justizverwaltung sich letztendlich um die Vollstreckung der Todesurteile habe kümmern müssen. Auch der Beschuldigte Leitsmann gab an, mit der Vollstreckung nichts zu tun gehabt zu haben, da die Staatsanwaltschaft Vollstreckungsbehörde gewesen sei. Das Ermittlungsverfahren stellte dann weiter fest, daß das Sondergericht Warschau vermutlich nur bis Mitte 1942 Todesurteile dieser Art gefällt hatte, da anschließend die Juden ohne Gerichtsverfahren von der SS und der Polizei ermordet wurden.

Daß die Staatsanwaltschaft Lübeck an sich vorhatte, das Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigten Leitsmann und Wolle - das Prinzip des Positivismus strikt einhaltend - einzustellen, kann nicht überraschen. Erwähnenswert bleibt


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allerdings insoweit ihre Argumentation:

Die "Dritte Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen im Generalgouvernement" vom 15. Oktober 1941 erachtete die Staatsanwaltschaft als formell gültiges Gesetz, da die Verordnung letztlich auf dem "Führererlaß" vom 12. Oktober 1939 beruhe. Die Staatsanwaltschaft führte sodann weiter aus: "Die formelle Gültigkeit der Verordnungen vom 15. Oktober 1941 wird auch nicht dadurch berührt, daß sie möglicherweise bei der Bekanntmachung durch Plakate von einem großen Teil der Bevölkerung wegen Analphabetentums nicht gelesen werden konnte. Es genügte die Veröffentlichung im Verordnungsblatt für das GG [Generalgouvernement], wie auch heute die Veröffentlichung eines Gesetzes, z. B. im Bundesgesetzblatt, ausreicht, um die formelle Gültigkeit zu begründen. Abgesehen davon ist die Einlassung des Beschuldigten Dr. Leitsmann, die Androhung der Todesstrafe habe sich schnell herumgesprochen, überzeugend." [43]

Allerdings erkannte die Staatsanwaltschaft Lübeck das eigentliche Problem im Rahmen der Rechtsbeugung gemäß § 336 StGB durchaus: In dem Entwurf der Einstellungsverfügung wurde die Frage gestellt, "ob unter Beugung des 'Rechts' im Sinne des § 336 StGB auch die Anwendung zwar formell gültigen, aber einer übergesetzlichen Rechtsordnung widersprechenden Gesetzesrechts zu verstehen" sei. Denn nach Ansicht der Staatsanwaltschaft stand die durch die Verordnung vom 15. Oktober 1941 eingeführte Todesstrafe in einem ersichtlichen Mißverhältnis zu der Schwere der Tat und der Schuld des Täters oder der Täterin: "Das unbefugte Verlassen des zugewiesenen Wohnbezirks stellte nach rechtsstaatlichen Prinzipien betrachtet allenfalls einen Ungehorsam, nicht aber ein Verbrechen dar, zumal die Motive der Juden nicht verwerflich, sondern [...] darin zu finden gewesen sein dürften, durch Eintausch von Lebensmitteln dem drohenden Hungertod zu entgehen."

Unter Bezugnahme auf den Bundesgerichtshof [44] brauchten nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Lübeck Gedanken des Naturrechts hier nicht herangezogen zu werden, um das obige Mißverhältnis zu erkennen: "Der Widerspruch war so stark, daß er von den damals amtierenden Richtern und Staatsanwälten selbst unter Berücksichtigung der Zeitumstände erkannt werden konnte."

Hätte die Staatsanwaltschaft Lübeck diesen Gedanken konsequent weiterverfolgt, so hätte einer Anklage wegen Rechtsbeugung bzw. wegen Mordes/ Totschlags nichts mehr im Wege gestanden. Doch die Staatsanwaltschaft Lübeck schloß sich der Argumentation von Schlösser [45] an, der das Naturrecht und das übergesetzliche Recht im Rahmen der Rechtsbeugung nicht heranziehen wollte. Diese Begriffe, so die Staatsanwaltschaft Lübeck weiter, seien zu unbestimmt, "um für den einzelnen Richter einen brauchbaren Maßstab für die Überprüfung staatlicher Gesetze zu bieten. Es [das Naturrecht/das übergesetzliche Recht] werde durch Begriffe wie Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Sittlichkeit geprägt, die je nach Gesellschaftsform des Staates einer verschiedenen Auslegung unterliegen, wie z.B. der Begriff 'Freiheit in Ost und West'. Der Richter wäre also gezwungen, seine individuellen Wertungsmaßstäbe anzulegen, was keinerlei Gewähr biete,


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daß diese richtig seien. Der eine Richter könne demnach ein Gesetz für rechtmäßig, der andere dasselbe Gesetz für rechtswidrig erklären. Die Folge wäre eine ungleichmäßige, d.h. ungerechte Behandlung der der staatlichen Rechtsordnung Unterworfenen, also eine erhebliche Rechtsunsicherheit."

Diese formalistische Argumentation ließ schon den objektiven Tatbestand einer Rechtsbeugung entfallen. Im Rahmen des Einstellungsentwurfs war die Argumentation an sich überflüssig, da eine Rechtsbeugung zumindest an der inneren Tatseite gescheitert wäre, da bereits nach der damaligen Rechtsprechung direkter Vorsatz gefordert wurde, welcher beiden Beschuldigten auch in diesem Fall hätte wohl nicht nachgewiesen werden können. [46]

Die Staatsanwaltschaft Lübeck ging sodann der Frage nach, ob den Beschuldigten der Vorwurf des Mordes gemacht werden konnte, wobei sie das Merkmal "oder sonst aus niedrigen Beweggründen" einer näheren Prüfung unterzog. Sie stellte sodann gleich klar, daß als "niedriger Beweggrund" hier Rassenhaß in Betracht kommen könnte. Im Rahmen dieser Prüfung führte die Staatsanwaltschaft Lübeck sodann aus:

"Zunächst bedarf die Frage einer Klärung, ob die Todesandrohung selbst rassepolitische Ziele verfolgte. [...] Die Tatsache, daß [...] die 3. VO über Aufenthaltsbeschränkungen im GG [Generalgouvernement] vom 15. Oktober 1941 nur für Juden galten, beweist nicht, daß diese Vorschriften der sog. Endlösung der Judenfrage dienen sollten. Diese Anordnungen waren vielmehr auf Juden beschränkt, weil es nur für sie 'zugewiesene Wohnbezirke' gab. Es ist bekannt, daß die 'Endlösung der Judenfrage', die im Oktober 1941 schon in Angriff genommen war, nicht unter dem Deckmantel des Gesetzes und des Gerichtsverfahrens erfolgte. Die aus Rassenhaß beschlossene Vernichtung der Juden wurde insbesondere im Generalgouvernement und in anderen besetzten Ostgebieten von den Machthabern vielmehr unter den Begriff der 'sicherheitspolizeilichen Maßnahmen' eingeordnet. [...] Das Rechtsverfahren erschien ungeeignet, da es den hergebrachten Anschauungen von Recht und Unrecht unterlag und auf solche gigantischen einmaligen Ereignisse wie die Vernichtung der Juden nicht übertragen werden konnte. [...] Der Justiz wurde später sogar mehr und mehr die selbständige Tätigkeit auf dem ihr eigenen Gebiet des Strafrechts zugunsten der SS und Polizei entzogen. [...] Hitler machte seinem Ärger über die Juristen, die an gewissen Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit festzuhalten suchten, in seiner Reichstagsrede am 26. April 1942 Luft und ließ sich vom Reichstag das gesetzliche Recht bestätigen, die Richter ohne Rücksicht auf wohlerworbene Rechte und ohne Verfahren aus dem Amte zu entfernen. [...] Es kann demnach nicht festgestellt werden, daß die bis Ende 1942 im Generalgouvernement entsprechend den geltenden Verordnungen durchgeführten Sondergerichtsverfahren nur Scheinverfahren waren, die in Wahrheit nur die Vernichtung der Juden bezweckten. Der Schluß, die 3. VO über Aufenthaltsbeschränkungen vom 15. Oktober 1941 sei erkennbar ein Ausfluß des Rassenhasses gewesen, kann deshalb nicht gezogen werden. Die Möglichkeit, daß (die Beschuldigten) diese Verordnung dennoch aus Rassenhaß anwendeten, läßt sich zwar nicht aus-


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schließen; ein solcher rein subjektiver Vorgang ließe sich möglicherweise dann beweisen, wenn schriftliche Urteile vorlägen, aus denen Rassenhaß sprechen würde. Vielfache Versuche, solche Unterlagen zu beschaffen, sind jedoch negativ verlaufen. [47] Auf der anderen Seite hat sich nichts für solche exzessartige, aus Rassenhaß erfolgte Anwendung der Verordnung vom 15. Oktober 1941 ergeben."

Der Behördenchef der Lübecker Staatsanwaltschaft - ehemals Mitglied des Nationalsozialistischen Schülerbundes seit Mai 1931 bis zum Abitur im März 1932 und späterer Parteigenosse [48] - , der die Argumentation im Einstellungsentwurf bejahte, konnte sich jedoch im Schleswig-Holsteinischen Justizministerium nicht durchsetzen. Hier muß die ungeheuerliche Argumentation des Einstellungsentwurfs auf Widerstand gestoßen sein, wie sich aus folgenden Begebenheiten schließen läßt:

Aus politischen Gründen - die Öffentlichkeit war mittlerweile gegenüber der Justiz kritischer geworden - wollte man im Justizministerium eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen. Hierdurch wollte man vorsorglich jede Kritik ausräumen, das Justizministerium hätte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Lübeck mitgetragen.

So legte der Referent in der Strafrechtsabteilung des Schleswig-Holsteinischen Justizministeriums am 11. Oktober 1965 ein Gutachten mit folgender Themenstellung vor: "Gegen den Einstellungsvorschlag und dessen Begründung bestehen aus nachfolgenden Erwägungen Bedenken". [49] Referent war der Oberregierungsrat Begemann, der ein Gegner der reinen Lehre des Gesetzespositivismus war. [50] Im einzelnen führte er in seinem Gutachten aus: Auch er ging davon aus, daß dem Beschuldigten der Rechtsbeugungsvorsatz kaum nachzuweisen war. Begemann erwähnte den Standpunkt des Bundesgerichtshofs [51], der die Strafbarkeit nach § 211 StGB (Mord) nur dann zuließ, wenn auch die Voraussetzungen der Rechtsbeugung gegeben waren. Diese These, die der Bundesgerichtshof nicht näher begründet hatte, erläuterte Begemann wie folgt:

"Die dogmatische Begründung dieses Ergebnisses [...] dürfte darin zu finden sein, daß im Falle der Rechtsbeugung der Sache nach kein Recht gesprochen, kein Richteramt ausgeübt wird. Es liegt nur ein Scheinverfahren vor, das nicht durch gerichtsverfassungsmäßige Amtsbefugnisse gedeckt wird. Es entfällt somit die Rechtfertigung kraft Richteramtes."

Was nun die "Rechtsprechung" des Sondergerichts Warschau anging, stellte Begemann mit detaillierter Begründung folgende Thesen auf: Es "ist davon auszugehen, daß eine Rechtfertigung kraft Richteramtes dann nicht gegeben ist, wenn Gegenstand der Beurteilung eine 'Rechtsprechung' ist, die sich der Sache nach nicht als 'Rechts'anwendung, sondern als Teilnahme an einem Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches darstellt. Das war hier der Fall. Mit der gegen die Juden gerichteten Strafandrohung in der 3. Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen bezweckten deren Urheber Maßnahmen, die sich als Mord im Sinne des § 211 StGB darstellten."

Im Gegensatz zu der skandalösen Begründung der Staatsanwaltschaft Lübeck stellte Begemann sodann unzweifelhaft klar: "Der § 4b der VO über Aufenthaltsbeschränkungen diente aber ausschließlich der Sicherung der Konzen-


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tration der Juden in den Ghettos und muß schon deshalb demselben Unwerturteil verfallen, dem die Judenverfolgung insgesamt unterliegt. Daß überdies die angedrohte Todesstrafe für ein Bagatelldelikt übermäßig grausam war, kann diese Würdigung lediglich noch unterstreichen. Die Todesstrafendrohung in § 4b, die sich fast ausschließlich gegen Juden richtete, beruhte ersichtlich, wie alle Judenverfolgungsmaßnahmen auf Rassenhaß, der nach ständiger Rechtsprechung des BGH als 'niedriger Beweggrund' im Sinne des § 211 StGB zu qualifizieren ist."

Nach Ansicht von Begemann waren in erster Linie die Urheber der "3. Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen" strafrechtlich hierfür verantwortlich. Dann stellte er aber klar: "Aber auch die Ausführung der genannten VO durch das Sondergericht Warschau war der Sache nach 'keine Rechtsanwendung', sondern allein schon im Hinblick auf die strafrechtliche Qualität der VO objektiv Teilnahme an Verbrechen des Mordes nach § 211 StGB. Eine derartige Perversion der Rechtspflege wird durch keinerlei richterliche Befugnisse gedeckt."

Diese Schlußfolgerung konnte Begemann nur mit folgender dogmatischer Begründung gewinnen: "Das vorstehende Ergebnis ist nicht ohne Rückgriff auf das Naturrecht im Sinne der Rechtsprechung des BGH zu gewinnen, das den Maßstab für die Beurteilung der VO über Aufenthaltsbeschränkungen liefert. Das Recht müßte kapitulieren, wenn es [...] einer kriminell eingestellten Gruppe gelingt, die Rechtsetzungsgewalt zu usurpieren und das geschriebene Gesetz ungehemmt nach eigenen Wünschen zu gestalten. Gegen die Verwertung des naturrechtlichen Arguments im Strafrecht sind indessen besonders im Zusammenhang mit der Richterhaftung Bedenken erhoben worden mit dem Gedanken, daß der Richter nicht verantwortlich gemacht werden könne mit Gründen, die während seiner Amtszeit nicht anerkannt gewesen seien." [52]

Den Gegnern des Naturrechts konnte Begemann eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 1952 entgegenhalten [53], in welcher auch im Strafrecht auf naturrechtliche Argumente zurückgegriffen wurde, um Maßnahmen der Nationalsozialisten eine rechtfertigende Kraft abzusprechen.

Nachdem Begemann auch Fragen der Mittäterschaft, der Teilnahme und des Verbotsirrtums detailliert abgehandelt hatte, schloß sein Gutachten mit folgenden Ausführungen:

"Aufgrund der vorstehenden Erwägungen dürfte bei dem Beschuldigten Dr. L. schon jetzt hinreichender Verdacht der Beihilfe zum mehrfachen versuchten oder vollendeten gemeinschaftlichen Mord bestehen. Bei den übrigen Beschuldigten bedarf es noch weiterer Ermittlungen, um das Ausmaß der Beteiligung festzustellen. Dem Vorschlag des (Generalstaatsanwalts) in dessen Randbericht vom 28.9.1965 bezüglich der Einleitung von besonderen Ermittlungen gegen die Urheber der 3. VO über Aufenthaltsbeschränkungen im Generalgouvernement vom 15.10.1941 sollte auch auf der Grundlage vorstehender Beurteilungen des Sachverhalts sinngemäß gefolgt werden."

Gegen die Urheber ist allerdings, soweit ersichtlich, nie ermittelt worden. Das Gutachten von Begemann muß für die Staatsanwaltschaft Lübeck ein Affront gewesen sein. Denn die Lübecker Staatsanwaltschaft mußte auf Weisung


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des Justizministeriums entsprechend dem Gutachten von Begemann die Anklage fertigen. Den Antrag auf Eröffnung und Führung der Voruntersuchung unterschrieb der bereits erwähnte Lübecker Behördenchef am 4. Oktober 1966.

In diesem Antrag wurden die Angeschuldigten Leitsmann und Wolle beschuldigt, von Januar bis Mitte 1942 fortgesetzt Tätern, die aus niedrigem Beweggrund - Rassenhaß - Menschen zu töten versucht haben, durch Tat wissentlich Hilfe zur Begehung des als Verbrechen mit Strafe bedrohten gemeinschaftlichen versuchten Mordes geleistet zu haben. [54]

Dieser Antrag wurde nunmehr von der Staatsanwaltschaft Lübeck wie folgt weisungsgemäß begründet: "Das Sondergericht [Warschau] und die Staatsanwaltschaft [Warschau] führten in dem genannten Zeitraum mehrere hundert Verfahren gegen Juden, die mit Todesurteilen endeten. Den Verfahren lag die 3. VO über Aufenthaltsbeschränkungen im GG [Generalgouvernement] vom 15.10.1941 zugrunde, die für das bloße unbefugte Verlassen des Ghettos die Todesstrafe als absolute Strafe androhte. Diese Strafbestimmung verfolgte auch rassepolitische Ziele und die Ausrottung der Juden. Die Verfahren stellten deshalb keine der Rechtsprechung dienenden Gerichtsverfahren dar, sondern auf Mord gerichtete Scheinverfahren. Obwohl dieser Umstand für die Angeschuldigten erkennbar war, beteiligten sich Dr. Leitsmann als erkennender Richter und Dr. Wolle als vorgesetzter Staatsanwalt an den Verfahren und damit an den fortgesetzten Mordhandlungen der nationalsozialistischen Machthaber. Der Beweis, welche der unter Beteiligung der Angeschuldigten zustandegekommenen Todesurteile vollstreckt worden sind, läßt sich nicht führen."

Über diesen Antrag mußte die III. Strafkammer des Landgerichts Lübeck entscheiden. Diese lehnte mit Beschluß vom 10. November 1966 den Antrag auf Eröffnung der Voruntersuchung ab. [55] Die Lübecker Strafkammer stellte sich auf den Standpunkt, ein Richter oder Staatsanwalt könne wegen Beihilfe zum Mord nur dann strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn er sich gleichzeitig der Rechtsbeugung im Sinne des § 336 StGB schuldig gemacht habe, wobei die Lübecker Strafkammer eine Rechtsbeugung nicht als gegeben ansah. Die Lübecker Staatsanwaltschaft legte hiergegen jedoch sofortige Beschwerde ein.

Am 30. November 1967 verwarf der 1. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig nach Anhörung der Angeschuldigten die sofortige Beschwerde als unbegründet. Der 1. Strafsenat erwies sich als Anhänger des Gesetzespositivismus. Er lehnte die Argumente von Begemann rundweg ab, welche vollinhaltlich von der Staatsanwaltschaft übernommen worden waren. Seine Meinung faßte der 1. Strafsenat in einem 20 Seiten langen Beschluß wie folgt zusammen:

"Der Auffassung der Staatsanwaltschaft, daß es sich bei dem hier in Betracht kommenden Sachverhalt um ein Geschehen handelt, das es dogmatisch nicht rechtfertigt, die Strafverfolgung der Angeschuldigten unter die Schranke der Rechtsbeugung zu stellen, vermag der Senat sich nicht anzuschließen. Wie in dem angefochtenen Beschluß, auf dessen Ausführungen insoweit Bezug genommen wird, zutreffend dargelegt worden ist, sind im vorliegenden Falle


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keine Gründe ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen, nach der Beamte und Richter, denen zur Last gelegt wird, sich im Zusammenhang mit der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache strafbarer Handlungen schuldig gemacht zu haben, nur dann verurteilt werden können, wenn sie auch eine Rechtsbeugung begangen haben. [...] Der äußere Tatbestand des § 336 StGB kann in einem Strafverfahren dadurch verwirklicht werden, daß a) die Rechtsstellung des Angeklagten durch Gesetzesverletzung bei der Leitung der Verhandlung verschlechtert wird, b) ein formell ungültiges Gesetz angewendet oder c) ein formell gültiges Gesetz unrichtig angewendet wird, sei es, daß der Sachverhalt nicht richtig festgestellt wird, der richtig festgestellte Sachverhalt nicht den Tatbestand des Gesetzes erfüllt oder daß eine unangemessen hohe Strafe, die den Unrechtsgehalt der Strafe offensichtlich übersteigt, verhängt wird. [...] Es kommt also entscheidend darauf an, ob die Angeschuldigten, obwohl sie davon ausgingen, daß § 4b der VO über Aufenthaltsbeschränkungen im GG wirksam zustandegekommen war, wegen des Inhalts dieser Vorschrift von ihrer Anwendung hätten absehen müssen und ob sie, weil sie das nicht getan haben, dafür strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können. Bei der Vorschrift des § 4b der VO über Aufenthaltsbeschränkungen im GG handelt es sich um eine natur- und menschenrechtswidrige Vorschrift, nämlich um eine Bestimmung, die selbst, wenn bei ihrem Erlaß die Abwendung von Seuchengefahr oder der Schutz vor Aufständen der im Ghetto zusammengepferchten Juden mitbestimmend gewesen sein sollten, auch der Aufrechterhaltung eines menschenrechtswidrigen Zustandes diente, nämlich der Absonderung eines rassisch bestimmten Bevölkerungsteiles unter Außerkraftsetzung des Grundrechtes der persönlichen Freiheit und die zudem noch darauf abzielte, diese Menschengruppe auszumerzen. Es stellt sich also die Frage, ob Richter und Staatsanwälte, die in Anwendung einer solchen, allein die Todesstrafe androhenden Bestimmung bei dem Erlaß von Todesurteilen mitgewirkt haben, sich der Rechtsbeugung schuldig gemacht haben. Es fragt sich also, ob der Tatbestand der Rechtsbeugung auch durch Anwendung eines für wirksam erlassen erachteten Gesetzes, das inhaltlich höheren Rechtsnormen widerspricht, verwirklicht werden kann, ob weiter der Vorwurf der Rechtsbeugung begründet sein kann, wenn entgegen einer für wirksam gehaltenen Gesetzesbestimmung nicht das übergeordnete sittliche Recht angewendet wird." [56]

Nachdem der 1. Strafsenat diesen Fragenkomplex erörtert hatte, kam er zu folgendem Ergebnis: "Vom nationalsozialistischen Regime wurden die Grundsätze des Naturrechts und der Menschlichkeit, jedenfalls soweit sie sich gegen übermäßig hohe und grausame Strafen wendeten und jetzt ihren Niederschlag in der Menschenrechtskonvention gefunden haben, nicht anerkannt. Die Richter waren auch an das nationalsozialistische Recht gebunden. Abgesehen von den Auswirkungen des Positivismus, die in manchen Fällen zur sog. 'Rechtsblindheit' beigetragen haben mögen, war der Richter während der Zeit des Nationalsozialismus somit jedenfalls nicht verpflichtet, die Anwendung von Gesetzen, an deren formell gültigem


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Zustandekommen er keinen Zweifel hatte, selbst wenn sie ihrem Inhalt nach naturrechts- oder menschenrechtswidrig waren, zu verweigern. [...] [Der Senat] kommt daher zu dem Ergebnis, daß das Verhalten eines Richters, der während des Nationalsozialismus in den Gewissenskonflikt, in den er gelangte, weil er eine Gesetzesbestimmung (dazu gehören auch die in den Verordnungen enthaltenen Vorschriften) als menschenrechtswidrig ansah, sie aber wegen seiner Treuepflicht gegenüber dem damaligen Gesetzgeber trotzdem anwandte, möglicherweise, um sich nicht dem Vorwurf der Rechtsbeugung auszusetzen, nicht nachträglich als Rechtsbeugung gewertet werden kann. Dasselbe muß für einen Richter oder Staatsanwalt gelten, der infolge von Rechtsblindheit damals nicht in einen Gewissenskonflikt geraten ist, sich vielmehr an eine inhaltlich natur- und menschenrechtswidrige Norm deswegen für gebunden gehalten hat, weil er sie als wirksam zustandegekommen erachtete. Da infolgedessen der in dem Antrag auf Eröffnung der Voruntersuchung bezeichnete Sachverhalt aus Rechtsgründen nicht zu einer Verurteilung der Angeschuldigten führen kann, war die sofortige Beschwerde [...] als unbegründet zu verwerfen."

IV. Schlußbetrachtung

Obwohl die Mitglieder des 1. Strafsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts ersichtlich keine NS-Belastungen aufwiesen, offenbarten sie jedoch durch ihre Argumentation folgendes: Ihr Bestreben war allein darauf gerichtet, die Richter des Sondergerichts Warschau, die sie als Kollegen betrachteten, vor Strafe zu bewahren. Dabei bedienten sie sich einer sophistischen Begründung, ohne die Realitäten des Dritten Reiches detailliert zu analysieren. Indem sie den Gesetzespositivismus anwandten, verharmlosten sie die NS-Justiz und stellten diese mit einer rechtsstaatlichen Justiz gleich. Im Ergebnis sanktionierten sie damit die Morde des Sondergerichts Warschau.

Fraglich ist, ob den Mitgliedern des 1. Strafsenats 1967 nicht schon bewußt gewesen ist, daß folgende These eine Erfindung gerade der NS-Juristen war und mit der Realität im Dritten Reich nicht das geringste gemein hatte: Nämlich die Rechtfertigung der NS-Juristen, der Gesetzespositivismus habe sie gegenüber dem nationalsozialistischen Unrecht "blind" und "wehrlos" gemacht.

Diese Frage muß zu Lasten des 1. Strafsenats beantwortet werden. Dessen Mitglieder waren hochqualifizierte Juristen, denen die folgenden rechtstheoretischen Zusammenhänge und staatsrechtlichen Grundlagen des Dritten Reiches nicht unbekannt geblieben sein konnten:

Der Begriff des Gesetzespositivismus setzt zwangsläufig ein Gesetz voraus, nicht jedoch nur gesetzliches Unrecht. Ab 1933 handelte es sich aber um gesetzliches Unrecht, mit dem die Justiz konfrontiert wurde. Demzufolge konnten sich NS-Juristen auch nicht auf den Gesetzespositivismus berufen. Auch im Rahmen strafrechtlicher Bewertung der NS-Justiz durfte der Gesetzespositivismus als "Rechtfertigungselement" demzufolge nicht herangezogen werden.

Diese Feststellungen und Schlußfolgerungen beruhen auf den staatsrecht-


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lichen Abläufen zu Beginn des Dritten Reiches. Diese Abläufe waren auch den Mitgliedern des 1. Strafsenats bekannt, da sie 1967 zum juristischen Standardwissen gehörten: Die Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 war der einzig legale Akt im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung. Von diesem Zeitpunkt ab erfolgte der zweckgerichtete Abbau von Verfassungsgarantien durch die Nationalsozialisten. Der Abbau verlief u.a. in folgenden Etappen: Die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 [57] setzte "bis auf weiteres" wesentliche Grundrechte der Reichsverfassung außer Kraft. Das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich (sog. Ermächtigungsgesetz) vom 24. März 1933 [58], welches selbst schon nicht verfassungskonform war, entzog die Gesetzgebung der Kontrolle durch den Reichspräsidenten und übertrug sie auf die Reichsregierung. Verfassungsrechtlich herrschte seit 1933 der "Despotismus des Führerprinzips", für den es "keinen Geltungsgrund gab, da er auf dem permanenten Bruch der Weimarer Verfassung, dem Staatsstreich, basierte." [59]

Auch den NS-Staatsanwälten und NS-Richtern war dieser Zustand des permanenten Unrechts bewußt. Denn die meisten von ihnen hatten vor 1933 bereits rechtsstaatliche Grundprinzipien im Rahmen ihrer Studien kennengelernt.

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen muß die Frage gestellt (und letztlich bejaht) werden, ob die "Rechtsprechung" des 1. Strafsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in dieser Sache nicht als inhaltliche Kontinuität der "Rechtsprechung" des Sondergerichts Warschau anzusehen ist.

Der Beschluß des 1. Strafsenats wirft aber auch die Frage auf, ob er nicht geeignet war, das Vertrauen der bundesdeutschen Bevölkerung in die Justiz zu erschüttern. Die Antwort muß ernüchternd ausfallen und insoweit muß von Kielmannsegg zugestimmt werden, der meint: "[Die Bundesrepublik] hat sich um die politische Loyalität ihres öffentlichen Dienstes [damit auch der Justiz] nie zu sorgen brauchen. Das Problem war die persönliche Integrität derer, die einmal einem Regime des Verbrechens gedient hatten. Das bedeutet doch: Der Schaden war allenfalls ein mittelbarer. Die Demokratie war nie dadurch gefährdet, daß die Sympathien der Staatsdiener der Vergangenheit [...] gehört hatten. Der Preis, den diese Demokratie für das ganze Integrationsunternehmen bezahlt hat, war der Mangel an Glaubwürdigkeit lediglich bei der Linken, die erst Ende der 60er Jahre auch wegen dieses Integrationsunternehmens gegen den Staat revoltierte." [60]

Soweit von Kielmannsegg auf die Effektivität der Justiz bzw. des öffentlichen Dienstes seit Gründung der Bundesrepublik abstellt, so läßt er die Frage unbeantwortet, was denn unter "Effektivität" der Justiz zu verstehen ist. Anhand des Beschlusses des 1. Strafsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts wird nämlich deutlich, daß die "effektive Justiz" teilweise Standpunkte einnahm, die rechtlich unhaltbar waren.

Letzlich ist noch folgendes zu beachten: Die bundesdeutsche Justiz hat es zwar verstanden, belastete NS-Staatsanwälte und NS-Richter von der Strafverfolgung auszunehmen. In dieser Hinsicht war die bundesdeutsche Justiz wiederum "effektiv". Hierbei gerieten je-


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doch die Justizopfer des Dritten Reiches fast völlig in Vergessenheit. Wie durch den Lübecker Einstellungsentwurf zum Ausdruck kommt, erweckte die bundesdeutsche Justiz bei der Behandlung von NS-Justizverbrechen den Eindruck, als ob die NS-Juristen selbst als die eigentlichen Opfer anzusehen sind. Dies muß menschenverachtend genannt werden und zwingt gerade dazu, die wahren geschichtlichen Abläufe der nationalsozialistischen Justiz wissenschaftlich aufzuarbeiten. Wenn von Kielmannsegg im Hinblick auf die nationalsozialistische Vergangenheit die Frage nach einer "Erinnerungspflicht" [61] stellt, so ist diese in Bezug auf die nationalsozialistische Justiz wie folgt zu beantworten: Den wirklichen Opfern [62] der nationalsozialistischen Willkürjustiz sind wir auch heute noch zur Erinnerung verpflichtet.

V. Anmerkungen

Dieser Beitrag erschien zuerst in den Schleswig-Holsteinischen Anzeigen. Justizministerialblatt für Schleswig-Holstein, April 1993.

1. Als Beispiel eines solchen sogenannten Braunbuchs sei angeführt: "Wir klagen an - 800 Nazi-Blutrichter - Stützen des Adenauer-Regimes", Hrsg.: Ausschuß für die Deutsche Einheit, Berlin 1959.

2. Rede in: Informationsdienst der Landesregierung Schleswig-Holstein, Jg. 8, Nr. 9, Mai 1960, 1. Ausgabe, S. 61 - 65.

3. Eine Analyse dieser Rede: Klaus-Detlev Godau-Schüttke, Ich habe nur dem Recht gedient - Die "Renazifizierung" der Schleswig-Holsteinischen Justiz nach 1945. Baden-Baden 1993, S. 93ff.

4. Vgl. Generalakten (GA) Schleswig-Holsteinisches (SH) Justizministerium (JuMi) VIII 2200-SH-B Band 5; Hans Wrobel, Verurteilt zur Demokratie, Heidelberg 1989, S. 151 m. Anm. 85; Wolfgang Koppel, Justiz im Zwielicht, Selbstverlag, Karlsruhe 1963, S. 172 spricht von 143 Richtern und Staatsanwälten.

5. § 116 wurde 1961 in das Deutsche Richtergesetz aufgenommen und lautet: Ein Richter oder Staatsanwalt, der in der Zeit vom 1.9.1939 bis zum 9.5.1945 als Richter oder Staatsanwalt in der Strafrechtspflege mitgewirkt hat, kann auf seinen Antrag in den Ruhestand versetzt werden (Abs. 1). Der Antrag kann nur bis zum 30.6.1962 gestellt werden (Abs. 2).

6. Ingo Müller, Furchtbare Juristen, München 1987, S. 197.

7. Fritz Hartung, Jurist unter vier Reichen, Köln, Berlin, Bonn, München 1971.

8. Hartung, S. 80ff., 95ff.

9. Vgl. Dieter Kolbe, Reichsgerichtspräsident Dr. Erwin Bumke, Karlsruhe 1975.

10. Hartung, S. 123.

11. Otto Peter Schweling, Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus, bearbeitet, eingeleitet und herausgegeben von Erich Schwinge, Marburg 1977.

12. Norbert Haase, Spuren des Unrechts: Berlin Witzlebenstraße 4 - 10, in: Frankfurter Rundschau Nr. 243. 19.10.1992. S. 11.

13. Hermann Weinkauff, "75 Jahre Reichsgericht", in: DRiZ 1954, S. 251f.

14. Müller, S. 210ff.; Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949 - 1968, Frankfurt/Main 1978, S. 228ff.

15. Vgl. von Brünneck.

16. Krise in der Justiz - aus dem Jahresbericht 1965 für den BGH, in: NJW 1966, S. 1554f.

17. von Brünneck, S. 231

18. Der Spiegel Nr. 28. 5.7.1961. S. 25.

19. BVerfGE 3, S. 58ff.

20. BGHZ 13, S. 265ff.

21. Müller, S. 201.

22. Gerda Krüger-Nieland (Hrsg.), 25 Jahre Bundesgerichtshof, München 1975, S. 353.

23. Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich, München 1988, S. 3.

24. § 1 Abs. BEG lautete u.a.: Anspruch auf Entschädigung nach diesem Gesetz hat, wer in der Zeit vom 30.1.1933 bis zum 8.5.1945 (Verfolgungszeit) wegen seiner gegen den Nationalsozialismus gerichteten politischen Überzeugung, aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung (Verfolgungsgründe) durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit [...] erlitten hat (Verfolgter).

25. BGH LM Nr. 16 zu § 1 BEG.

26. Rudolf Wassermann, Auch die Justiz kann aus der Geschichte nicht aussteigen, Baden-Baden 1990, S. 208ff.

27. Weinkauff, S. 252f.

28. Vorgänge entnommen: Landesarchiv Schleswig (LAS) 352 (Lübeck)/525 Bd. 1 ff.

29. RGBl 1939 I, S. 2077f.

30. Verordnung (VO)-Bl. GG (Generalgouvernement) 1939, S. 34f.

31. VO-Bl GG 1940, S. 288.

32. Vgl. Anmerkung 28.

33. 3. Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen im Generalgouvernement: VO-Bl. GG 1941, S. 595.


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34. Vgl. Anmerkung 28.

35. Alle Angaben aus Personalakte (PA) LAS 786/ 57.

36. Schreiben vom 11.3.1960 in: LAS 352/525 Bd. 6.

37. Bericht des Oberstaatsanwalts (OStA) in Lübeck an den Justizminister (JM) vom 12.4.1960 in: LAS 352/525 Bd. 2.

38. Verfügung vom 21.5.1960 in: LAS 352/525 Bd. 6.

39. Bericht vom 7.6.1960, vgl. Fußnote 38.

40. Vgl. Anmerkung 38.

41. Aussagen des Zeugen W. vom 28.4.1965 in: LAS 352/525 Bd. 1.

42. Alle Angaben aus: LAS 352/525 Bd. 1.

43. Entwurf einer Einstellungsverfügung ohne Datum in: LAS 352/525 Bd. 1.

44. BGHSt 10, 294 (301).

45. Siegfried Schlösser, Strafrechtliche Verantwortlichkeit ehemaliger Richter an Sondergerichten, in: NJW 1960, S. 943ff.

46. Wassermann, S. 201f.

47. Die Ermittlungen hatten aber ergeben, daß die Akten des Sondergerichts Warschau von den Deutschen noch rechtzeitig vernichtet werden konnten.

48. PA LAS 786/700.

49. Alle Angaben aus: LAS 352/525 Bd. 1.

50. Helmut Begemann, Das Haftungsprivileg des Richters im Strafrecht, in: NJW 1968, S. 1361ff.

51. BGHSt 10, S. 295ff.

52. Vgl. Anmerkung 45.

53. BGH MDR 1952, S. 693ff.

54. Alle Angaben aus: LAS 352/525 Bd. 1.

55. Dieser Beschluß ist nicht auffindbar.

56. Auf diesen Beschluß verweist bereits Hans Günther, Staatsanwaltschaft - Kind der Revolution, Frankfurt/Main, Berlin, Wien 1973, S. 79f. Die übrigen Angaben vgl. Anmerkung 54.

57. RGBl 1933 I, S. 83.

58. RGBl 1933 I, S. 141. Daß das Ermächtigungsgesetz vom 24.3.1933 selbst schon nicht verfassungskonform war, wird ausführlich von Helge Grabitz geschildert: In vorauseilendem Gehorsam... Die Hamburger Justiz im "Führer-Staat", in: Klaus Bästlein u. a. Hrsg., "Für Führer, Volk und Vaterland...". Hamburger Justiz im Nationalsozialismus, Hamburg 1992, S. 27f.

59. Klaus Bästlein, Vom hanseatischen Richtertum zum nationalsozialistischen Justizverbrechen. Zur Person und Tätigkeit Curt Rothenbergers 1896 - 1959, in: ders. u. a. Hrsg., "Für Führer, Volk und Vaterland...", Hamburger Justiz im Nationalsozialismus, Hamburg 1992, S. 95.

60. Graf Kielmannsegg, Lange Schatten - vom Umgang der Deutschen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, Berlin 1989, S. 41f.

61. Kielmannsegg, S. 95.

62. Im Rahmen der Auswertung der Personalakten von schleswig-holsteinischen Staatsanwälten und Richtern konnte folgende Feststellung getroffen werden (vgl. Anmerkung 3): Kein einziger Richter oder Staatsanwalt, der ehemals am Sondergericht Kiel tätig war, hat im Rahmen der Entnazifizierung oder später in Bezug auf seine frühere Tätigkeit ein Bedauern mit den Justizopfern zum Ausdruck gebracht. Ohne Ausnahme wurde nur auf das während des Dritten Reiches geltende Recht verwiesen. Die Rechtfertigung der eigenen Person stand im Vordergrund, wobei jedes Mittel recht war: "Die Mitwirkung an Todesurteilen hat mich jedesmal innerlich stark belastet." - So ein Amtsrichter, der von Juni 1944 bis zur Kapitulation als Richter am Sondergericht Kiel mehrere Todesurteile mitgefällt hatte, in seiner Rechtfertigung vor dem Entnazifizierungsausschuß (PA LAS 786/137 + 138).

Dabei ist hervorzuheben, daß kein Richter bzw. Staatsanwalt gezwungen wurde, sondergerichtliche Aufgaben wahrzunehmen. So gelang es Richtern, die bereits am Sondergericht tätig waren, aufgrund wiederholter Eingaben vorzeitig zur Wehrmacht eingezogen zu werden, um somit nicht mehr am Sondergericht tätig sein zu müssen (vgl. Vorgänge: PA LAS 786/ 1026). Dem Verfasser ist auch eine Personalakte eines ehemaligen Landgerichtsdirektors in Danzig zur Verfügung gestellt worden, aus der folgendes zu entnehmen ist: Nachdem dieser Landgerichtsdirektor 1942 zum Vorsitzenden des Sondergerichts Danzig berufen worden war und in dieser Eigenschaft ein Todesurteil mitgefällt hatte, gelang es ihm, vorzeitig zur Wehrmacht eingezogen zu werden. Er fiel in Rußland.


Veröffentlicht in den Informationen der Schlewig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 27 (Juli 1995) S. 3-19.


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