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Drahtzieher im braunen Netz

Vor drei Jahren erschien das erste Handbuch dieser Art, welches sich speziell und fachkompetent mit dem neofaschistischem Spektrum in der Bundesrepublik beschäftigte ("Drahtzieher im Brauen Netz - Der Wiederaufbau der NSDAP"). Damals richtete sich das Hauptaugenmerk der Autoren auf die Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front, einer von Michael Kühnen geführten Gruppe, die für den Neofaschismus von großer Bedeutung war, weil sie an einem übergreifendem Netzwerk arbeitete und sich als Sammlungsbewegung verstand, deren letztes Ziel die Wiederzulassung der NSDAP war.

Aufgrund der Verbote gegen verschiedene Gruppierungen und Parteien, der veränderten gesellschaftspolitischen Lage und auch des Todes von Michael Kühnen hat sich die Situation im neofaschistischen Spektrum gewandelt. Im neuen Handbuch wird dem Rechnung getragen: Es beginnt mit einem Überblick zur Lage in Deutschland und Österreich, wobei die Autoren darauf abheben, daß es in beiden Ländern zu einer Verschiebung der politischen Lager nach Rechts gekommen ist, was sie insbesondere an der Asyl- und Ausländerpolitik festmachen: "Heute profiliert sich die Bundesregierung durch eine scheinbar harte Verfolgung von Neonazi-Organisationen. Gleichzeitig läuft die staaliche Maschinerie zur Abschiebung von Flüchtlingen auf Hochtouren." (S. 11)

Laut Einschätzung der Autoren haben die Verbote von rechtsextremen Vereinigungen und Parteien die Ausbildung eines rechtsterroristischen Untergrundes ("Werwolf-Untergrundstrukturen") gefördert bzw. sind diese durch Bildung von neuen Gruppierungen umgangen worden, die sich zudem jetzt als Kader neustrukturiert haben und in ihren Überzeugungen gefestigter sind. "Die heute bedeutenden Neonazi-Zusammenschlüsse sind keine Parteizusammenschlüsse, sondern Verbindungen von mehreren streng hierarchischen Kaderstrukturen. [...] Zusätzlich sind verstärkte Anstrengungen zu beobachten, einen paramilitärischen Untergrundflügel aufzubauen." (S. 13)

Fraktionsübergreifende Sammlung wird indes nicht mehr über Wahlparteien versucht, sondern über Projekte wie die Nationalen Infotelefone, Mailboxen und Zeitungen. Auch das Nachkriegsnetzwerk, was von ehemaligen Mitgliedern der Waffen-SS aufgebaut wurde, arbeitet noch und ist für die Neonazi-Szene von nicht geringer Bedeutung.

Für Österreich gehen die Autoren intensiv auf die Freiheitlichen (F-Bewegung) des Jörg Haider und dessen Wirkung ein, analysieren die (immer noch weitergehenden) Briefbombenattentate


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der Bajuwarischen Befreiungsarmee, weisen auf die Spuren hin, die in die Bundesrepublik führen (S. 15ff.), und gehen auf die Prozesse gegen Gottfried Küssel (VAPO) sowie die Angeklagten im Briefbombenfall ein.

Das Kapitel "Wolfszeit" (S. 40ff.) beschreibt ein Untergrundkonzept, welches auf den ersten Blick wie eine linke Verschwörungstheorie klingt, sich aber für diejenigen, die sich eingehend mit der rechtsextremen Szene beschäftigen, als durchaus glaubwürdig erweist: "Werwolf-Aktivisten sind 'Feierabend-Terroristen', einmal ausgebildet, sowohl ideologisch als auch praktisch, werden sie zu 'Schläfern', um den Einsatzbefehl der Organisationsleitung abzuwarten."

Und in einem Zitat aus der Feder der Neonazis klingt das dann so: "Wenn das System schon nicht mehr in der Lage ist, sich gegen die kämpferischen Maßnahmen des Werwolfes zu wehren, dann kann es das bestehende politische und wirtschaftliche Chaos erst recht nicht beseitigen und die Verhältnisse zum Guten wenden. Damit ist die nationalsozialistische Revolution gerechtfertigt." (S. 55) Die Destabilisierung und Verunsicherung der Gesellschaft sowie die Verbreitung von Angst sollen also einen rechten Politikbild zum weiteren Durchbruch verhelfen und anschließend dann neofaschistische Ideen gesellschaftsfähiger werden.

Wie gegen politische Gegner vorgegangen werden soll, läßt sich anhand der "Anti-Antifaschismus"-Kampagne nachlesen. Ihr Ziel war es weniger, Antifaschisten zu outen, ihnen Angst zu machen und sie zum "Abschuß" freizugeben, als vielmehr durch ein gemeinsames Arbeiten an einem Projekt die eigenen Strukturen zu festigen und sich als Opfer, als verfolgter "anständiger Deutscher" zu gerieren, der sich in "Notwehr" gegen die "Rotfront" wehren darf. (S. 60ff.) Diskussionswürdig ist dabei das, was die Autoren zum "bürgerlichen Anti-Antifaschismus" sagen (S. 71ff.). Hier gehen sie u.a. auf Thesen des Bonner Politikprofessors Hans-Helmuth Knütter ein, der mit Büchern wie "Die Faschismus Keule. Das letze Aufgebot der deutschen Linken" von sich reden machte. Ihm werfen sie vor, der "Enttabuisierung des Faschismus" Vorschub zu leisten und die Totalitarismus-Theorie neu zu beleben. (Als ein Beleg dafür wird von den Autoren angeführt, daß die rechtsextreme Szene Knütters Bücher gerne vertreibt und diese entsprechend positiv würdigt.)

Die Delegitimierung des historischen Antifaschismus sowie die immernoch fortgeführten Bemühungen der Geschichtsrevisionisten wie Rainer Zitelmann, Ernst Nolte und Uwe Backes sowie Eckhard Jesse werden im Anschluß daran beleuchtet.

Diese als Überblick angelegten ersten 80 Seiten des Handbuches sind an sich zwar überzeugend geschrieben und regen zur Diskussion an, doch weisen sie in ihrer Struktur einige Schwächen auf. Gerade für den Leser und die Leserin, die sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben, dürfte es schwer sein, den verknüpfenden roten Faden zu finden, und für diejenigen, die das Buch wirklich als Nachschlagswerk benutzen wollen, wäre ein besseres Inhaltsverzeichnis (mit Nennung der Unterkapitel!) sowie eine Zusammenfassung am Ende dieses ersten Abschnitts eine Hilfe gewesen.

Es folgen knapp 180 Seiten, auf denen die wichtigsten neofaschistischen


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Gruppen und Parteien jeweils in einem Kapitel beschrieben und analysiert werden, wobei darauf geachtet wurde, die Vernetzung und Zusammenarbeit im nationalen und internationalen Raum nicht außer acht zu lassen und die jeweilige Funktion der Vereinigung für das Neonazi-Netzwerk zu verdeutlichen.

Neben in der breiten Öffentlichkeit bekannten Gruppen wie der NPD oder auch der Wiking-Jugend werden u.a. die Nationalen Infotelefone, das Thule-Netz (die neofaschistische Mailbox), die Sozialrevolutionäre Arbeiterfront, der Witikobund und die Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene sowie knapp zwanzig weitere Organisationen, deren Anführer, Ziele und Vorgehensweisen beschrieben. Ein Personen- und Sachregister, Literaturhinweise, ein Anmerkungsapparat sowie eine Liste der regelmäßig erscheinenden antifaschistischen Zeitschriften schließen den Band ab.

"Drahtzieher im braunen Netz" sei all denjenigen empfohlen, die sich einen Überblick der Neonazi-Szene verschaffen und ein Nachschlagewerk haben wollen, daß ihnen einen aktuellen Einblick in diese Szene und ihre Aktivitäten geben kann. Die manchmal etwas platte Rhetorik und die verkürzenden Schlüsse der Autoren sollte dabei weder die Leserin noch den Leser abschrecken, denn alles in allem können die Autoren ihr Schlußresümee belegen, das da heißt: "Der organisierte Neofaschismus ist durch die Verbotswelle in Deutschland in seiner Ausbreitung gehemmt worden, die Gefahr seines Wiedererstarkens ist jedoch keineswegs gebannt. [...] Auf legaler Ebene wird versucht, eine neue Wahlpartei zu etablieren, auf illegaler Ebene wird der Ausbau paramilitärischer Strukturen vorangetrieben. [...] Gefährlich werden diese Nazis, wenn Teile der politischen Klasse mit ihnen verschmelzen. Sobald sich eine ähnliche Interessengemeinschaft wie bei der Kampagne gegen das Asylrecht ergibt, sobald den Neonazis neuer Handlungsspielraum ermöglicht wird, werden sie sich auf der politischen Bühne zurückmelden, und zwar erheblich besser organisiert als Anfang der 90er Jahre." (S. 247)

Frank Omland

Drahtzieher im braunen Netz. Ein aktueller Überblick über den Neonazi-Untergrund in Deutschland und Österreich. Ein Handbuch des antifaschistischen Autorenkollektivs. Hamburg: Konkret Literatur Verlag 1996. 274 S., zahlr. Abb., Dokumente und Fotos.


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 30 (Dezember 1996) S. 81-83.


Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 30

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