Frank Omland

Thomas Schloßbauer (Red.): Spurensuche 1933 - 45. Das Begleitheft zum "alternativem Stadtrundgang" Neumünster im Nationalsozialismus - ein Rundgang mit sechsundzwanzig Stationen.

Hrg. vom Jugendverband Neumünster e.V. Redaktion: Ulf Schloßbauer. Neumünster 1994. 72 S.

Seit November 1994 veranstaltet der Jugendverband Neumünster e.V. "Alternative Stadtrundgänge" (vgl. Heft 26 dieser Zeitschrift). Nun brachte er mit Unterstützung des schleswig-holsteinischen Ministeriums für Arbeit, Soziales, Jugend und Gesundheit eine 72 Seiten umfassende Broschüre heraus, die kostenlos an Interessierte abgegeben wird. So liegt jetzt auch für die Schwale-Stadt ein entsprechendes Begleitheft vor, wobei aber die Autoren dabei einen so großen Mangel an Sorgfalt haben walten lassen, daß ihnen eine Reihe von vermeidbaren Fehlern unterlaufen sind.

Dem Rezensenten - einem gebürtigen Neumünsteraner - ist es deshalb doppelt schwer gefallen, ein Produkt zu kritisieren, dessen Erscheinen er freudig begrüßt hat und deren ehrenamtlichen Macher er wegen deren Engagement eigentlich unterstützen möchte. Doch enthebt die Tatsache, daß die Autoren die NS-Geschichte Neumünsters ans Tageslicht geholt haben, nicht der Kritik an der mangelhaften Qualität des Endproduktes. Zwar schimmert überall das Engagement der Beteiligten durch, doch hat es dem Begleitheft an einer redigierenden Schlußredaktion gefehlt. Anders läßt sich die große Anzahl von Fehlern und Mängel sowohl im Layout, im Computersatz und in inhaltlichen Dingen nicht erklären.

Die Struktur des Begleitheftes ist an sich klassisch: 26 Stationen in Neumünster können "ergangen" werden, und mit erläuternden Texten, Dokumenten, Zeitungsausschnitten und einer Vielzahl von Fotos (in zumeist sehr guter Qualität!) wird die Vergangenheit anschaulich gemacht.

Dabei reicht die Themenpalette von der Verfolgung der politischen Arbeiterbewegung über Judentum, dem Arbeitseinsatz oder der NSDAP bis hin zum Heldenhain, dem "Museum germanischer Trachten" sowie Kriegs- und Zwangsarbeiterausbeutung. Leider weisen die einzelnen Aufsätze eine sehr unterschiedliche Qualität auf, wobei bedauerlicherweise der Gesamteindruck eher negativ ausfällt.

Da sind Kleinigkeiten wie etwa eine Karte, auf der eine Station nicht eingetragen ist (Tonhalle), während eine andere zwar angelaufen werden kann, aber sich peinlicherweise im Text kein Bezug zum Ort findet (Esplanade); oder im Text stehen etwa nicht selten Absätze doppelt, eine schlechte Silbentrennung ist zu konstatieren, oder Sätze beginnen und enden einfach sinnlos. Hinzu kommt die Uneinheitlichkeit bzgl. der Literaturangaben (wenn sie nicht sogar unvollständig/unverständlich sind) bis hin zu Artikeln, die sich wie Nacherzählungen zeitgenössischer Zeitungsartikel lesen (und wohl auch solche sind).

Doch gravierender sind die inhaltlichen Mängel: So fällt es etwa in der Station 1 (Neumünsters Stadtgeschichte) schwer, einen roten Faden zu finden, springt doch der Autor wild in der Zeit herum, vergißt grundlegende Daten (bspw. wieviele Einwohner die Stadt hatte und wie die Berufsverteilung war; Zahlen, vor deren Hintergrund die angegebene Arbeitslosenziffer ja erst richtig eingeordnet werden kann) und formuliert manche Passagen sehr mißverständlich (so daß sich etwa der Landvolkboykott 1929 aus der schlechten wirtschaftlichen Situation 1932/33 ableitet u.ä.m., S. 6).

Bei Station 4 (Nationalsozialistische Anfänge in Neumünster) deutet sich an, daß die Autoren zu manchen Fragestellungen zu wenig Hintergrundwissen besitzen, um Fakten einordnen oder gar bewerten zu können. So kommt es u.a. dazu, daß die Mitgliederzahlen der NSDAP zwar genannt werden, aber eine sinnvolle Einordnung, ob dies überdurchschnittlich oder vergleichsweise wenig war, nicht vorgenommen werden kann. Zur Kreisgeschäftsstelle der Partei (Station 5) weiß der Autor zudem nichts besseres zu erzählen, als wo sie lag und welche Ausstellungen dort stattgefunden haben (um dann aus der Nennung der Ausstellungsthemen Inhaltliches abzuleiten).

Über solche Schwachheiten mag der eine oder die andere hinwegsehen, doch reihen sie sich in weitere ein, wenn etwa der "Staatsjugendtag" zum "Staatsjugendtrupp" wird (S. 38) oder die Anzahl der Ratsmitglieder der KPD und SPD 1933 mit denen von 1929 verwechselt wird - und damit die NSDAP mit ihren Verbündeten nicht mehr die Mehrheit stellt... (S. 16).

Richtig schief wird es, wenn es zu einem katholischen Pfarrer heißt: "Am 10. November 1943 wurde der aus der Gemeinde stammende Priester Eduard Müller nach 1 1/4 jähriger Gefangenschaft in Hamburg hingerichtet." (S. 23) Die Gründe hierfür erfährt man nicht (sie sind ja auf einer Tafel, deren Text nicht genannt wird, nachzulesen...), geschweige denn, daß es sich dabei um Ereignisse in Lübeck gehandelt hat und Müller nur während seiner Ausbildung in Neumünster war.

Geradezu peinlich sind dann zwei Fehler, die beim Lektorat nicht hätten übersehen werden dürfen. Zu der jüdischen Bevölkerung heißt es u.a.: "Die Holstenstraße, heute eine völlig normale Einkaufstraße im Zentrum Neumünsters, wurde 1933 während der sogenannten Reichskristallnacht zum Schauplatz von Übergriffen gegen Neumünsteraner Juden. [...] Während das Standesamt Neumünster im August 1938 noch 21 mal die Vornamen Sara oder David in den Pässen hinzufügte..." (S. 54).

Fazit: Das Begleitheft zum "Alternativen Stadtrundgang" lenkt die Aufmerksamkeit der Leserschaft auf Orte und deren nationalsozialistische Vergangenheit und besticht dabei durch die vielen Fotos und die zumeist in guter Qualität wiedergegebenen Dokumente. Der vordergründig gute Ersteindruck verwischt dabei schnell, daß die Broschüre an so vielen inhaltlichen Mängeln leidet, daß sie der Leserin und dem Leser bedauerlicherweise eben doch nicht empfohlen werden kann. Eine Überarbeitung wäre hingegen dringend geboten.


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 29 (Juni 1996) S. 60-62.


Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 29

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